Bildung und Gesellschaft

LR Eichtinger: „Weiterbildungsmaßnahmen sind das Um und Auf“

Martin Eichtinger, Landesrat für den Arbeitsmarkt, internationale Beziehungen und den Wohnbau, im Gespräch über die Qualifizierungsoffensive, die Lehrlingssuche und europäische Solidarität. Interview aus den "iv-positionen" (März 2021). 

Inklusive Schulungsteilnehmern waren zuletzt rund 77.700 Personen in NÖ als arbeitslos gemeldet – 13,9 Prozent mehr als im Februar 2020. Was sind die wichtigsten Maßnahmen des Landes NÖ, um diese Situation einzudämmen?

Niederösterreich verzeichnet den niedrigsten Anstieg der Arbeitslosigkeit von allen Bundesländern. Wir arbeiten konsequent weiter, der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Programme wie Jobchance50+ und die Lehrlingsoffensive haben wir für heuer bereits aufgestockt, um den Menschen Perspektiven zu geben. Zudem haben wir kürzlich eine Qualifizierungsoffensive gemeinsam mit dem AMS NÖ und den Sozialpartnern gestartet, deren Ziel es ist die NÖ Wirtschaft zu unterstützen und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Dafür investieren wir 63 Millionen Euro in die hochwertige Ausbildung von Zukunftsberufen. Seitens des Landes unterstützen wir auch gezielt Umschulungen in den Pflegebereich und im Bereich der Digitalisierung. Diese Weiterbildungsmaßnahmen sind das Um und Auf und werden vom Land Niederösterreich im Rahmen der Bildungsförderung unterstützt.

Das Land NÖ hat zudem allein im Bereich der direkten Arbeitsmarktförderung das reguläre Budget beinahe verdoppelt. Wir haben auch das Programm „Job.Start“ geschaffen, das junge Menschen bis 25 Jahren mit fertiger Ausbildung und kaum bis keiner Berufserfahrung beim Einstieg in den Arbeitsmarkt hilft.

Für die Industrie wurde die Lehrlingssuche durch Corona erschwert, weil Jobmessen oder Tage der offenen Tür nicht möglich waren. Wie können Ausbilderbetriebe und Jugendliche wieder leichter zusammenfinden?

Wir unterstützen arbeitsmarktseitig alle Menschen mit einem beruflichen Entwicklungs- oder Veränderungswunsch, sich ihrer Stärken und Kompetenzen bewusst zu werden. So lassen sich auch Branchen entdecken, die zunächst nicht in der engsten persönlichen Auswahl lagen. Konkret haben wir dafür den NÖ Kompetenzkompass entwickelt.

Wie funktioniert dieser NÖ Kompetenzkompass?

Er zeigt Menschen ihr Potential auf und legt somit den Grundstein für neue berufliche Möglichkeiten abseits ihrer gewohnten Pfade. Der Kompass wurde seitens des Landes NÖ gemeinsam mit der „Menschen und Arbeit Niederösterreich (MAG)“ entwickelt und baut auf wissenschaftlichen Konzepten auf. Ergebnis des NÖ Kompetenzkompasses ist eine erste individuelle Einschätzung darüber, wo es sich für jeden einzelnen lohnt, weiterzumachen. Im Anschluss besteht die Möglichkeit sich direkt mit der NÖ Bildungsberatung in Verbindung zu setzen, um einen Plan zu entwickeln, wie die aufgezeigten Wege tatsächlich beschritten werden können. Ich empfehle jedem, seine Stärken kennenzulernen unter: www.noe-kompetenzkompass.at

Sie sind im Land NÖ auch zuständig für Internationales. Im Jahr 2020, ein Vierteljahrhundert nach Österreichs EU-Beitritt, wurde der europäische Zusammenhalt durch Corona auf eine harte Probe gestellt. Wie kann die europäische Solidarität wieder gestärkt werden?

Selbstbewusste Regionen sind das beste Gegenmittel zum Nationalismus. EU-Regionalpolitik fördert den grenzüberschreitenden Austausch und damit das Lernen und die Zusammenarbeit über die eigenen Grenzen hinaus. Es geht dabei die eigenen Stärken und die Möglichkeiten vor der eignen Haustüre zu nutzen. Das hat eine ökologische, ökonomisch und letztlich eine gesellschaftliche Dimension, die eben genau Nationalismen entgegentreten soll. Regionalität soll integrativ und nicht ausschließend sein.

Der Brexit ist vollzogen, auch die US-Politik ist nun etwas vorhersehbarer. Was sind jetzt die aktuellen Themen in der NÖ Außenpolitik?

Europa befindet sich derzeit in der größten Krise seit Beginn der Zweiten Republik. Die Pandemie erforderte das Zustandekommen des größten EU-Budgets aller Zeiten. Die Zielsetzungen sind dabei so herausfordernd und klar wie selten zuvor: die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt müssen angekurbelt werden, der Digitalisierung Rechnung getragen und die Ziele des European Green Deal umgesetzt werden. Der neue Mehrjährige Finanzrahmen sowie der EU-Aufbauplan schaffen hierfür eine ideale Basis. Für Niederösterreich sind besonders die EU-Regionalfördermittel von größter Bedeutung. Damit konnten wir zum Beispiel das erste grenzüberschreitende Gesundheitszentrum Europas in Gmünd bauen oder die Sprachoffensive zum Erwerb der Nachbarsprache bei Kindern und Jugendliche im Grenzraum.

Einmal arbeitslos geworden, dauert es für die Generation 50+ zunehmend länger, um am Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Welche Unterstützung gibt es für diese Zielgruppe?

Gerade in Krisenzeiten ist es umso wichtiger, der Generation 50+ Perspektiven aufzuzeigen und neue Chancen zu bieten. Für Arbeitnehmer über 50 gibt es daher zusätzliche Unterstützung. Das Programm ‚Jobchance‘ bietet Menschen über 50 die Möglichkeit, befristet von Gemeinden oder gemeinnützigen Vereinen angestellt zu werden. Jeder Dritte findet dadurch einen fixen Arbeitsplatz, deshalb bauen wir die bisher 600 Plätze auf 1.000 Plätze aus. Dafür nehmen wir gemeinsam mit dem AMS NÖ 14 Millionen Euro in die Hand.

 

Martin Eichtinger ist seit März 2018 ÖVP-Landesrat für die Bereiche Arbeitsmarkt, internationale Beziehungen und Wohnbau. Der promovierte Jurist startete seine Karriere im Diplomatischen Dienst, wo er zunächst als Sekretär von Alois Mock und später als Leiter des österreichischen Presse- und Informationsdiensts in Washington, D. C. tätig war. Von 2000 bis 2002 war er Bereichsleiter für Internationale Beziehungen in der IV. Danach folgten mehrere Stationen im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, als Österreichischer Botschafter in Rumänien und Moldau sowie von 2010 bis 2015 als Leiter der Kulturpolitischen Sektion in BMEIA. Von 2015 bis 2018 war Eichtinger Botschafter im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland.

Interview aus den "iv-positionen" - Ausgabe März 2021