2023 ist das Jahr der Weichenstellungen

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Mag. Michaela Roither

Geschäftsführerin, Industriellenvereinigung Niederösterreich

Mag. Michaela Roither

Geschäftsführerin, Industriellenvereinigung Niederösterreich

Ein Jahr multipler Krisen hat den Industriestandort Niederösterreich massiv unter Druck gebracht. Daher ist es entscheidend, dass in enger Zusammenarbeit mit der künftigen Landesregierung zügig weitere Maßnahmen gesetzt werden, um eine drohende Deindustrialisierung zu verhindern. 

2023 wird für die niederösterreichischen Industriebetriebe das Jahr der Weichenstellungen“, fasst Thomas Salzer, Präsident der Industriellenvereinigung Niederösterreich (IV-NÖ) am heutigen Mittwoch in einer Pressekonferenz die aktuelle Situation zusammen. „Es geht um nichts weniger als um die Aufrechterhaltung der globalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe.“ 

Nachdem 2022 durch Ukraine-Krieg, hohe Energiekosten, Inflation, Lieferketten-Probleme und Subventions-Wettläufen zwischen Staaten und Kontinenten völlig neue Herausforderungen für Unternehmen gebracht hat, ist es nun an der Zeit, nachhaltige Lösungen zu finden und Chancen zu nutzen. 

Gerade für Niederösterreich ist das Szenario der Deindustrialisierung besonders bedrohlich, weil hier in unserem Bundesland die Wertschöpfung zu mehr als 50 Prozent im Bereich der energieintensiven Industrie generiert wird. Betriebe, die energieintensiv produzieren, sind oftmals aufgrund der hohen Energiekosten im Vergleich zu Mitbewerbern im Ausland aktuell nicht konkurrenzfähig. 

„Etwa die Hälfte des Umsatzes in der niederösterreichischen Industrie wird im Ausland erwirtschaftet, viele Produktionsbetriebe haben sogar Exportquoten von mehr als 90 Prozent“, so Salzer. 

Zum Vergleich: Österreichweit liegen nur 30 Prozent der Wertschöpfung im Bereich der energieintensiven Unternehmen. „Niederösterreich ist diesbezüglich weit über dem Österreich-Schnitt“, veranschaulicht er. 

Der IV-NÖ Präsident warnt daher: „Gerade für kleine und mittlere Industrieunternehmen geht es jetzt oftmals um die Existenzfrage: Mache ich weiter oder sperre ich zu? Globale Konzerne tun sich etwas leichter. Sie können die Produktion in ein anderes Land verlegen oder ein Werk stilllegen, um in einem anderen zu produzieren.“ Die Kombination von hohen Kosten mit Nachfrageeinbrüchen ergibt eine toxische Mixtur, die die Liquidität vieler Unternehmen strapaziert und die finanziellen Reserven auffrisst.

Harter Weg bis zur konjunkturellen Stabilisierung 

Auch wenn die aktuelle Konjunkturerhebung der IV (4. Quartal 2022, Befragungszeitraum: 9.12.2022 bis 12.1.2023) unter den Industriebetrieben bereits erste Anzeichen einer konjunkturellen Stabilisierung erkennen lässt, so zeigt sie auch den harten Weg dorthin mit gedämpften bis negativen Erwartungen im Bereich der Auslandsaufträge, der Auslastung von Produktionskapazitäten und generell der Geschäftslage in den kommenden Wochen und Monaten.  

Deswegen ist gerade jetzt weiter eine gute und intensive politische Zusammenarbeit mit der künftigen Landesregierung und dem Bund das Um und Auf, damit es alle, auch die energieintensiven Unternehmen in Niederösterreich, bis zur erwarteten konjunkturellen Stabilisierung schaffen und das Wiedereinschwenken auf den Expansionspfad gelingt“, bekräftigt Salzer.  

Standortsicherung dringend notwendig 

Damit der Industriestandort Niederösterreich auch nachhaltig gesichert wird, muss der Ausbau der Erneuerbaren Energien auf allen Ebenen beschleunigt werden. „Vor allem die Genehmigungsverfahren dauern noch immer viel zu lange. In dem Tempo schaffen wird niemals die Energiewende bis 2030“, so der IV-NÖ Präsident.  

Übergeordnetes Ziel muss eine „Strategische Autonomie“ der Energie- insbesondere der Gasversorgung sein. Dafür braucht es eine Diversifizierung der derzeitigen Energieversorgung Europas. Für Gas bedeutet das etwa die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen gasproduzierenden Ländern, neue Pipeline-Projekte, die langfristig gesehen auch Wasserstoff-kompatibel sind aber auch die rasche Nutzung eigener Gas-Vorkommen in Österreich und Europa. 

Notwendig ist auch eine Neudotierung des Wirtschaftsförderungs-Fonds. „Es braucht unbedingt eine Ausgewogenheit zwischen Kultur- und Wirtschaftsförderung - gerade jetzt, um die krisenbelasteten Unternehmen gut in dieser schwierigen Phase zu unterstützen“, unterstreicht Salzer. 

Im Mittelpunkt muss dabei auch die Förderung von Innovationen stehen. „Der Kampf gegen den Klimawandel ist unbestritten eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Die Industrie ist Teil der Lösung: Klimaeffiziente Produkte aus Niederösterreich, aber auch innovative technische Lösungen unserer Industrie sind die treibende Kraft des Green Deals.“ 

Und weiter: „Es darf dabei kein ideologisches Scheuklappen-Denken und keine Denkverbote geben, auch was den Zugang zu Ressourcen vor unserer Haustür anbelangt. Wir brauchen Offenheit für neue Technologien.“ Neben Fracking und der Weiterentwicklung der Wasserstoff-Technologie sollte beispielsweise auch Carbon Capture und -Storage mehr in den Fokus gerückt werden. „Wir hätten bereits die Voraussetzungen – nämlich Kraftwerke, die mit Gas, Kohle oder Öl funktionieren - und wären daher technologisch in der Lage, dort das CO2 abzuscheiden, zu speichern und anderen Prozessen zuzuführen.“ 

Neben den Energiekosten ein weiteres wesentliches und schon bekanntes Problem ist der Mangel an Arbeitskräften. Nachdem in Österreich praktisch Vollbeschäftigung in Zeiten einer Stagnation herrscht, wird das Thema immer herausfordernder werden. „Wir müssen rasch alle Potenziale innerhalb und außerhalb des Landes heben, um Menschen für den Arbeitsmarkt verfügbar zu machen“, fordert Salzer.  

Ausblick und Chancen für die NÖ Industrie  

IV-Chefökonom Christian Helmenstein erwartet aufgrund der vorliegenden Daten ein „hartes Jahr 2023“. Frühestens ab der zweiten Jahreshälfte 2023 werde sich die Situation entspannen. „Es ist zwar noch offen, wann der gesamtwirtschaftliche Turnaround kommt, aber er kommt. Jedes Unternehmen ist gut beraten, das heurige Jahr zu nutzen, um sich darauf vorzubereiten.“ Jetzt sei der Moment, die Investitionen der nächsten Jahre zu planen und zu gewährleisten, dass die benötigten Fachkräfte an Bord sind, wenn der Aufschwung einsetzt. Bis dahin sollten auch die Lieferketten ausreichend diversifiziert worden sein. 

Außerdem sind laut Helmenstein in Österreich enorme Investitionen notwendig, um einerseits die Wettbewerbsfähigkeit durch Digitalisierung, insbesondere Automatisierung und Robotisierung, zu erhöhen und so den Standortnachteil bei den Energiekosten abzufedern, und andererseits die Energietransformation selbst zu bewerkstelligen. „Genau hier liegt auch die Chance für Niederösterreich als großes Flächenbundesland. Hier gibt es Platz für den Ausbau der Erneuerbaren.“ 

Beispiel für die Auswirkungen der Krisen: ZKW Group  

Wie sich die zahlreichen Großkrisen von rasant gestiegenen Energiekosten, Schwierigkeiten bei den Lieferketten bis hin zur Teuerung auswirken können und welche massiven Effekte diese haben, zeigt sich auch am Beispiel der ZKW Group. ZKW hatte 2022 an den beiden Standorten in Wieselburg und Wiener Neustadt insgesamt 20 Mio. EUR Energiekosten zu stemmen, das entspricht einem Plus von 366 Prozent im Vergleich zum Vorjahr

„Wir brauchen eine Preissicherheit für Energie. Wenn das Merit-Order-Prinzip abgeschafft wird, die Strom- und Gaspreise entkoppelt werden, kann die Industrie viel stärker von der günstigen Produktion erneuerbarer Energien profitieren. Ich sehe hier eine immense Chance. Denn unsere Kunden, die Automobilhersteller, fragen CO2-freie Lieferketten unbedingt nach. Damit wäre unmittelbar ein Standortvorteil für Österreich gegeben“, sagt Wilhelm Steger, CEO der ZKW Group

ZKW ist Spezialist für innovative Premium-Lichtsysteme und Elektronik und als Systemlieferant weltweit einer der führenden strategischen Partner der Automobilindustrie. Neben der Energiethematik beschäftigt ZKW als Konzern auch die Inflationskrise. „Die USA haben mit dem Inflation Reduction Act viel schneller reagiert als Europa. Das US-Gesetz sieht 369 Milliarden Dollar an Steuerrabatten und Subventionen für grüne Technologien vor. Damit ist die Gefahr gegeben, dass europäische Unternehmen einen Teil ihrer Produktion über den Atlantik verlagern. Es braucht hier rasch eine gemeinsame europäische Anstrengung, um die Fahrt in Richtung der Deindustrialisierung Europas noch zu stoppen“, so Steger. 

Die Ergebnisse der aktuellen IV-NÖ Konjunkturumfrage 

Das IV-Konjunkturbarometer, welches als (gewichteter) Mittelwert aus den Beurteilungen der gegenwärtigen Geschäftslage und der Geschäftslage in sechs Monaten bestimmt wird, passiert die Nullmarke – nämlich in positiver Richtung. Sein Wert steigt von -6,7 Punkten auf +7,4 Punkte. 

So hat sich die Einschätzung zur aktuellen Geschäftslage von +31 Punkten auf +46 Punkte etwas verbessert. 57 Prozent der befragten Unternehmen geben die derzeitige Geschäftslage mit „gut“ an (Q3/2022: 54 Prozent), 31 Prozent mit „befriedigend“ (Q3/2022: 24 Prozent) und 12 Prozent mit „schlecht“ (Q3/2022: 22 Prozent). 

Auch was die Geschäftslage in sechs Monaten betrifft, hat sich die Stimmung von einem sehr niedrigen Niveau ausgehend auf nunmehr -31 Punkte etwas verbessert, liegt damit aber weiterhin auf Rezessionsniveau. Diese Trendumkehr hat vor allem damit zu tun, dass nur mehr 34 Prozent der Befragten eine abermalige Verschlechterung des Geschäftsganges erwarten, während es in der Befragung im 3. Quartal noch 58 Prozent waren. Im Gegensatz dazu erwarten nur mehr 3 Prozent einen günstigen Geschäftsverlauf in den nächsten sechs Monaten (Q3/2022: 14 Prozent). 63 Prozent gehen von „gleichbleibend“ aus (Q3/2022: 27 Prozent) 

Ein Saldo von +42 Punkten nach zuvor +60 Punkten weist sinkende Auftragsbestände in der Industrie aus. 56 Prozent der Befragten sind mit der aktuellen Situation noch zufrieden, 13 Prozent sind es nicht. (Q3/2022: 67 Prozent „gut“, 7 Prozent „zu niedrig“).  

Dass das internationale Umfeld für Niederösterreichs Industrie herausfordernd bleibt, zeigt auch das Umfrageergebnis zu den Auslandsaufträgen, deren Saldo sich von +52 Punkten auf +19 Punkte verringert hat. Mit 34 Prozent bewertet nur mehr etwas mehr als ein Drittel der befragten Unternehmen den diesbezüglichen Stand in den Auftragsbüchern mit „gut“ (Q3/2022: 57 Prozent), 14 Prozent mit „zu niedrig“ (Q3/2022: 13 Prozent). 

Die eingetrübte Lage in den Auftragsbüchern wirkt sich in den kommenden Monaten auch auf die Produktionsplanung aus. Mit einem Saldo von -36 Punkten nach zuvor ‑10 Punkten sinken die Produktionserwartungen weiter. Damit einhergehend rechnen mittlerweile 38 Prozent der Unternehmen mit einer schlechten Auslastung der Produktionskapazität in drei Monaten (Q3/2022: 23 Prozent), zumindest 46 Prozent gehen von einer gleichbleibenden Situation aus (Q3/2022: 65 Prozent). Mit „gut“ wird die Aussicht von nur 16 Prozent bewertet (Q3/2022: 12 Prozent). 

Trotz der schwierigen Lage rechnen fast drei Viertel der Unternehmen mit einem gleichbleibenden Beschäftigtenstand in drei Monaten. Nur 3 Prozent streben einen höheren Beschäftigtenstand an, während 21 Prozent einen niedrigeren Personalstand nicht vermeiden können.  

Was die Entwicklung der Verkaufspreise in den nächsten drei Monaten anbelangt, gehen die Erwartungen wieder etwas zurück. Mittlerweile gehen nur mehr 53 Prozent der Respondenten von weiteren Erhöhungen aus (Q3/2022: 64 Prozent), 21 Prozent rechnen sogar mit fallenden Preisen (Q3/2022: 0 Prozent).  

Die hohe Zahl an konjunkturellen Störeinflüssen wirkt sich weniger auf die aktuelle Ertragslage aus als auf künftige. Aktuell wird die Ertragslage von 37 Prozent mit „gut“ und von 42 Prozent mit „durchschnittlich“ bewertet (Q3/2022: 43 Prozent „gut“, 26 Prozent „durchschnittlich“). Eingetrübt haben sich indes die Erwartungen für die kommenden sechs Monate. Nur noch 3 Prozent rechnen mit einer Verbesserung ihrer Ertragssituation, 71 Prozent rechnen mit einer Stagnation und 26 Prozent mit einer Verschlechterung (Q3/2022: 12 Prozent „gut“, 45 Prozent „durchschnittlich“, 43 Prozent „schlecht“). 

Die IV-Konjunkturumfrage: Zur Befragungsmethode 

Bei der Befragung, die die IV-NÖ quartalsweise in Auftrag gibt, haben dieses Mal 36 Unternehmen mit insgesamt 17.962 Beschäftigten teilgenommen. Das Konjunkturbarometer ist der Mittelwert aus der Beurteilung der gegenwärtigen und zukünftigen Geschäftsentwicklung bei den befragten Unternehmen.

Bei den Detailergebnissen der Konjunkturumfrage der IV kommt die folgende Methode zur Anwendung: Den Unternehmen werden drei Antwortmöglichkeiten vorgelegt: positiv, neutral und negativ. Errechnet werden die (beschäftigungsgewichteten) Prozentanteile dieser Antwortkategorien, danach wird der konjunktursensible „Saldo“ aus den Prozentanteilen positiver und negativer Antworten unter Vernachlässigung der neutralen gebildet. Diese Werte werden auch für die grafische Darstellung der Ergebnisse herangezogen.