„Die Auftragsbücher der niederösterreichischen Industriebetriebe waren im vierten Quartal 2021 durchaus gut gefüllt, gleichzeitig bleibt das aktuelle Umfeld herausfordernd. Hohe Infektions- und Quarantänezahlen sowie der Rohstoffmangel erschweren die Produktionsabläufe in den Betrieben. Dazu kommen stark gestiegene Energiekosten sowie der anhaltende Fachkräftemangel“, fasste Thomas Salzer, Präsident der Industriellenvereinigung NÖ (IV-NÖ), am heutigen Montag in einer virtuellen Pressekonferenz mit IV-Chefökonom Christian Helmenstein die aktuelle konjunkturelle Situation zusammen.
Das IV-NÖ-Konjunkturbarometer, mit dem das Geschäftsklima als Mittelwert zwischen der Beurteilung der aktuellen und der Geschäftslage in sechs Monaten erfasst wird, ist nach einem Zwischentief im vierten Quartal 2021 von +12,0 auf +25,5 Punkte gestiegen. An der Befragung, die die IV-NÖ quartalsweise durchführt, haben dieses Mal 44 Unternehmen mit insgesamt 21.616 Beschäftigten teilgenommen.
„Sofern sich geopolitische Konflikte nicht zu unerwartet und massiv zuspitzen, wird sich der aktuelle Aufschwung in einem moderaten Tempo fortsetzen. Die gute konjunkturelle Entwicklung wird in Niederösterreich vor allem von der Industrie getragen. Das erkennt man auch daran, dass der krisenbedingte Arbeitsplatzabbau vor allem dort am geringsten ausfiel, wo die Technologisierung am höchsten war. Im Vergleich zu anderen Branchen zeichnet sie die Industrie auch durch eine hohe Preisstabilität aus. Während im Dienstleistungsbereich die Preise in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sind, waren die Preise für industrielle Erzeugnisse vergleichsweise stabil. Hohe Energie- und Rohstoffpreise sowie Materialengpässe setzen die Produktionsbetriebe dennoch zunehmend unter Druck“, erklärt IV-Chefökonom Christian Helmenstein.
Hohe Energiepreise sorgen weiter für Verunsicherung
Unzufrieden sind die befragten Unternehmen vor allem mit ihrer aktuellen und künftigen Ertragssituation: Bei der derzeitigen Ertragssituation sank der Bewertungssaldo von +25 auf -3 Prozentpunkte. Dabei bewerten 41 Prozent der Unternehmen ihre aktuelle Ertragssituation als schlecht, und nur 38 Prozent sind damit zufrieden. Zudem rechnet jedes fünfte Unternehmen damit, in den nächsten sechs Monaten geringere Erträge zu lukrieren. Nur 15 Prozent rechnen mit einer Verbesserung der Ertragssituation im kommenden halben Jahr. Unter dem Strich sank der Saldo für die Ertragssituation in sechs Monaten damit von +2 auf -6 Prozentpunkte.
Als Ursache für diese pessimistische Erwartungshaltung nennt IV-NÖ-Präsident Thomas Salzer die hohen Energiepreise, die mittlerweile nicht nur Unternehmen, sondern auch Privathaushalte deutlich zu spüren bekommen. „Die aktuellen Energiepreise sind zu einem großen Teil politischen Entscheidungen geschuldet, daher braucht es jetzt auch Unterstützung durch die Politik“, so Salzer. Die Industriellenvereinigung fordert daher etwa eine Kompensation für erhöhte Strompreise aufgrund hoher CO2-Zertifikatekosten, wie sie in anderen EU-Ländern bereits längst üblich ist.
„Die Unternehmen brauchen dringend Maßnahmen zur Eindämmung der aktuellen Kostenexplosion bei Strom und Gas, andernfalls kommt es zu einer Lohn-Preis-Spirale, weil die Betriebe die Preissteigerungen weitergeben müssen und gleichzeitig mit höheren Lohnforderungen konfrontiert werden. Das würde die Wettbewerbsfähigkeit unseres Industriestandorts enorm gefährden“, erklärt Salzer.
In Niederösterreich seien schließlich viele Unternehmen in der Grundstoffindustrie tätig, die als energieintensive Industrie gilt. Dazu zählen etwa die Metallerzeugung und -bearbeitung, die Papierindustrie, die Herstellung von chemischen Erzeugnissen sowie die Herstellung von Glas, Keramik und Zement.
Energie- und Rohstoffpreise schlagen sich in Verkaufspreisen nieder und treiben die Inflation
Bereits jetzt sehen sich die Unternehmen gezwungen, die hohen Energie- und Rohstoffkosten in den Verkaufspreisen weiterzugeben. Mehr als die Hälfte (55%) der Unternehmen rechnet mit höheren Verkaufspreisen in den nächsten drei Monaten. Von sinkenden Verkaufspreisen gehen nur sechs Prozent der befragten Betriebe aus, sodass sich ein Saldo von +50 nach +55 Punkten im Vorquartal ergibt. „Die Unternehmen müssen diese Kosten weitergeben, weil sonst die Verluste in der Produktion zu hoch wären. Manche Betriebe produzieren sogar nur mehr dann, wenn der Kunde bereit ist, den Auftrag vorab abzunehmen“, erklärt dazu Salzer.
Lieferketten nach wie vor unter Druck
Verbessert haben sich die Einschätzungen zu den Auslandsaufträgen: Hier stieg der Saldo von +47 im Vorquartal auf +69 Prozentpunkte. Dabei verzeichnen 70 Prozent der Betriebe steigende Auslandsauftragsbestände. „Die niederösterreichischen Industriebetriebe produzieren für den Weltmarkt. Etwa jeder zweite Euro wird mittels Exporten verdient, zudem werden auch die zu verarbeitenden Rohstoffe aus der ganzen Welt bezogen“, erklärt Salzer. Die pandemiebedingten Sperren von Häfen in Asien und das damit verbundene temporäre Auslaufverbot für Containerschiffe, aber auch Einzelereignisse, wie etwa die Blockade im Suezkanal im Frühjahr 2021 hätten gezeigt, wie anfällig die globalen Lieferketten für Störungen sind.
„Die Auslandsaufträge befinden sich in Niederösterreich auf einem hohen Niveau. Wenn sich der geopolitische Konflikt mit Russland und der Ukraine zuspitzt, ist die Prognose eines fortgesetzten Aufschwungs jedoch nach unten zu revidieren. Sollte es zu einer Unterbrechung der Versorgungskette für Gas kommen, würde das den Gaspreis noch erheblich weiter in die Höhe treiben“, ergänzt Helmenstein.
Keine Entspannung beim Fachkräftemangel
Beim Beschäftigtenstand in den nächsten drei Monaten blieb der Saldo mit +15 Prozentpunkten (nach +14 Prozentpunkten im Vorquartal) nahezu unverändert. Dass 83 Prozent der Betriebe keine großen Veränderungen im Beschäftigtenstand erwarten, lässt darauf schließen, dass beim aktuellen Fachkräftemangel keine Entspannung in Sicht ist. „Noch immer ist zu wenig bekannt, welche Aufstiegs- und Verdienstchancen die Arbeitsplätze in der Industrie bieten“, erklärt Helmenstein.
Wie gut die Verdienstchancen in der Industrie im Vergleich zu anderen Branchen sind, belegt auch eine Studie, die das Economica Institut im Jahr 2019 durchgeführt und Anfang 2022 aktualisiert hat. „Eine zentrale Erkenntnis der Analyse besteht darin, dass Industrielehrberufe ein höheres oder gleich hohes Lebenseinkommen wie so mancher Beruf mit Universitätsausbildung aufweisen“, so Helmenstein. Das geht so weit, dass sogar das kumulierte Lebenseinkommen eines Systemtechnikers, der einen Lehrabschluss absolviert hat, bis zum 45. Lebensjahr das kumulierte Lebenseinkommen eines Informatikers mit Studienabschluss übersteigt – erst danach ermöglicht das Informatik-Studium einen Vorsprung beim kumulierten Lebenseinkommen.
Zur Präsentation der virtuellen PK am 31. 1. (inkl. Grafiken)
Zur Datentabelle - Konjunkturumfrage für 4. Quartal 2021