„Gesamtwirtschaftlich gesehen deuteten die Anzeichen bis dato auf eine prolongierte Phase der wirtschaftlichen Stagnation hin. Die Erwartung eines noch in diesem Jahr einsetzenden Aufschwungs lässt sich vor dem Hintergrund der jüngsten IV-Konjunkturerhebung jedoch nicht aufrechterhalten. Vielmehr muss sich die österreichische Industrie mit Blick auf das Winterhalbjahr auf eine Rezession einstellen“, brachte Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), am heutigen Dienstag in einer Pressekonferenz das derzeitige Konjunkturbild auf den Punkt. Angesichts der fordernden wirtschaftlichen Lage sollte man erneut über gezielte Maßnahmen zur Hebelung privatwirtschaftlicher Investitionen nachdenken: „Das Erfolgsrezept der Investitionsprämie hat in Zeiten der Covid-Pandemie zielgerichtet Investitionen gefördert – jeder investierte Euro hat dabei rund 10 Euro an Investitionen mobilisiert“, meint Neumayer.
Die Einschätzung des aktuellen Geschäftsganges durch die Unternehmen fällt nunmehr bereits seit acht (!) Quartalen ununterbrochen schwächer aus. Zugleich verschlechtert sich die Einschätzung für die Geschäftslage in sechs Monaten nach einer kurzen Zwischenerholung und kommt nunmehr noch weiter in negativem Terrain zu liegen. Per saldo sinkt das IV-Konjunkturbarometer um 11 Punkte. Zwar kann eine weitere konjunkturelle Großkrise weiterhin als abgewendet betrachtet werden, sofern kein zusätzlicher exogener Negativschock die europäische Wirtschaft trifft, aber ungeachtet dessen weisen die konjunkturellen Aussichten für die österreichische Industrie derzeit deutlich nach unten.
„Die letzten Wochen verzeichnen eine rasch voranschreitende Eintrübung der Konjunkturaussichten in der Industrie. Dies betrifft die gesamte Palette der Indikatoren, angefangen bei den Stimmungsindikatoren über klassische Vorlaufindikatoren wie die Auftragseingänge und -bestände bis zu bereits realisierten Werten von gleich- und nachlaufenden statistischen Größen. Trotz des weiterhin guten Geschäftsganges in einzelnen Industriezweigen gewinnt die sich abschwächende Dynamik auch in branchenseitiger Betrachtung an Breite.
Konjunkturell wird sich die Lage daher zunächst weiter verschlechtern, ehe es bestenfalls im kommenden Frühjahr wieder aufwärts gehen wird“, erläuterte IV-Chefökonom Christian Helmenstein.
Die Ergebnisse der aktuellen IV-Konjunkturumfrage
Das IV-Konjunkturbarometer, welches als (gewichteter) Mittelwert aus den Beurteilungen der gegenwärtigen Geschäftslage und der Geschäftslage in sechs Monaten bestimmt wird, sinkt auf exakt 0 Punkte, nachdem zuvor ein Wert von 10,7 Punkten verzeichnet worden war.
Dieser ausgeprägte Rückgang des IV-Konjunkturbarometers ist im nahezu identischen Ausmaß auf beide Teilkomponenten zurückzuführen. Die Geschäftsaussichten mit einem Horizont von sechs Monaten trüben sich von dem ohnedies schon niedrigen Niveau von -11 Punkten ausgehend um weitere 10 Punkte auf einen Saldo von nunmehr -21 Punkten ein. Sie erreichen damit das Niveau einer Rezession mittleren Ausmaßes. Lediglich 6% der Respondenten erwarten auf Sicht des nächsten Halbjahres noch einen günstigen Geschäftsverlauf, während über ein Viertel mit einer ungünstigen Entwicklung rechnet.
Die Einschätzung der aktuellen Geschäftslage hat sich erwartungsgemäß weiter von +32 Punkten auf +21 Punkte verschlechtert. Mit zeitlicher Verzögerung folgt sie damit der Teilkomponente der Geschäftsaussichten, wenngleich in einem geringeren Ausmaß.
Mit einem Saldo von +19 nach zuvor +28 Punkten liegen die Gesamtauftragsbestände in der Industrie inzwischen weit unterhalb eines aufschwungsaffinen Niveaus und sind im Durchschnitt nicht mehr auskömmlich, um die Kapazitätsauslastung in allen Wirtschaftszweigen in den kommenden Monaten vollumfänglich aufrechtzuerhalten. Zugleich beschleunigt sich, wie zum letzten Termin bereits erwartet, ihr Abbau im Tandem mit der Verringerung bei der Komponente der Auslandsaufträge (Saldo +20 nach +28) wieder, sodass die Auftragsreichweite rasch abnimmt. Von letzterer Seite ist aufgrund der Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar um rund 9% binnen eines Jahres und der infolgedessen abnehmenden preislichen Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Exporteure auf Drittmärkten außerhalb der Europäischen Union zudem weiterhin wenig Unterstützung zu erwarten.
Angesichts des erheblich eingetrübten Konjunkturbildes revidieren die Unternehmen ihre ohnedies schon vorsichtigen Produktionsplanungen substanziell nach unten. In saisonbereinigter Analyse der kurzfristigen Produktionserwartungen fällt der Saldo bei -17 Punkten nach zuvor -8 Punkten noch weiter in negatives Terrain, sodass bereits ab dem Spätsommer mit einer ausgeprägten konjunkturellen Schwächephase in der österreichischen Industrie zu rechnen ist.
In Übereinstimmung mit den gekappten Produktionsplanungen kommt es bei den Beschäftigungsaussichten zu einer Saldendrehung. Der Wert kehrt sich von +9 Punkten auf nunmehr -10 Punkte um. Hinter dieser Saldenbetrachtung verbirgt sich ein stärker in Bewegung geratender Arbeitsmarkt. Einerseits halbiert sich gegenüber dem Vorquartal der Anteil der Unternehmen, die binnen des laufenden Quartals ihren Beschäftigtenstand auszuweiten trachten, auf 13% der Respondenten, während nahezu ein Viertel (exakt 23%) selbigen nicht mehr zu halten vermag. Im Ergebnis ist mit einer höheren Fluktuation von Arbeitskräften innerhalb der Industrie, aber auch über Sektorgrenzen hinweg, sowie in soziale Sicherungsleistungen hineinzurechnen.
Angesichts einer Saldendrehung von +22 Punkten auf nunmehr -10 Punkte hat der gegenwärtige Preisauftriebszyklus auf der Ebene der Erzeugerpreise nicht nur ein jähes Ende gefunden, sondern er geht nahtlos in ein deflatorisches Szenario über. Wie erwartet wird die Warenherstellung damit noch im Verlauf des heurigen Jahres einen disinflatorischen Beitrag zum österreichischen Warenkorb leisten. Von der Industriegüterkomponente geht in den kommenden Quartalen somit ein wesentlicher kaufkraftstärkender Beitrag in Bezug auf die verfügbaren Haushaltseinkommen aus.
Die Vielzahl der konjunkturellen Störfaktoren wirkt auf die aktuelle Ertragslage der Unternehmen zurück. Nachdem der betreffende Saldo zuvor drei Mal in Folge bei einem Saldo von unverändert +9 Punkten verharrte, verliert der Saldo nunmehr bei einer schwächer werdenden Mengenkonjunktur 2 Punkte auf +7 Punkte. Mit -23 Punkten nach zuvor 0 Punkten gerät der Saldo der Ertragserwartungen infolge der kumulativ belastend wirkenden Preis- und Mengenerosion auf Sicht des nächsten Halbjahres hingegen bereits weitaus stärker unter Druck. Der Anteil der Respondenten mit der Erwartung einer anhaltenden Ertragserosion erreicht rund ein Drittel, während nur jedes elfte Unternehmen mit einer Verbesserung der Ertragslage rechnet.
Die IV-Konjunkturumfrage: Zur Befragungsmethode
An der jüngsten Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung beteiligten sich 431 Unternehmen mit rund 317.000 Beschäftigten. Bei der Konjunkturumfrage der IV kommt folgende Methode zur Anwendung: Den Unternehmen werden drei Antwortmöglichkeiten vorgelegt: positiv, neutral und negativ. Errechnet werden die (beschäftigungsgewichteten) Prozentanteile dieser Antwortkategorien, sodann wird der konjunktursensible „Saldo“ aus den Prozentanteilen positiver und negativer Antworten unter Vernachlässigung der neutralen gebildet.