„Wir haben uns gedacht, die haben sich in der Kommastelle geirrt“

Der niederösterreichische Kosmetikproduzent GW Cosmetics ist im Bereich Augenbrauen- und Wimpernfarbe Weltmarktführer. Unternehmenseigentümer Rainer Deisenhammer über Visionen und die Chancen von „Made in Austria“. 

RefectoCil heißt Ihr berühmtes Produkt. So gut wie jede Frau kennt es, aber die wenigsten wissen, dass es in Leopoldsdorf bei Wien produziert wird…

Das stimmt, die meisten glauben, das kommt aus Frankreich oder den USA. Die Firma GW hieß früher Gschwendtner. Der Friseur Josef Gschwendtner begann 1930 in einem Hinterhof im neunten Wiener Gemeindebezirk Haarfarben zu entwickeln und zu produzieren. Kurze Zeit später wurde mit RefectoCil das erste professionelle Färbemittel für Augenbrauen und Wimpern auf den Markt gebracht. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm ein Bekannter von ihm, ein Engländer, den Vertrieb des Produkts in Großbritannien und die internationale Erfolgsgeschichte nahm ihren Lauf.

Warum sich RefectoCil gegen die Konkurrenz bis heute so gut behauptet hat, kann ich nicht beantworten. Da war viel Glück dabei. Herr Geschwendter hatte die richtigen Importeure und Partner. Die sind damals alle zu ihm gekommen. Er hat gar nicht aktiv versucht, neue Partner zu finden, sie haben ihn gefunden. Das ist heute eigentlich auch noch so.

Ich habe das Unternehmen 2004 gekauft und konnte auf dieser Basis sehr gut aufbauen. Wir haben eine sehr gute Qualität und die Marke kennt man einfach. Warum soll ein Friseur oder Kosmetikinstitut ohne Not zu einem anderen Produkt greifen? Hier weiß er, dass es gut funktioniert und er einen guten Support bekommt. Wir tun viel für unsere Kunden und das wissen sie zu schätzen.

Welche Produkte gibt es bei GW Cosmetics?

Wir führen insgesamt drei Marken. Die Marke für den Profi, also Friseure und Schönheits- und Kosmetikinstitute, ist RefectoCil. Daneben haben wir zwei Retail-Marken: BeautyLash, eine Augenbrauen- und Wimpernfarbe für zu Hause, und Master Lin. Dabei handelt es sich um eine Naturkosmetik-Linie im Hochpreis-Segment.

Daneben entwickeln und produzieren wir auch für Dritte, zum Beispiel BiGood für die Drogeriemarktkette Bipa oder die Lasepton-Creme. Sehr stark im Private Label-Bereich sind wir natürlich bei Augenbrauen- und Wimpernfarbe. Da haben wir Kunden in England, Dänemark, Schweden, Australien oder Deutschland, die diese Produkte beziehen und vertreiben.

Wo liegen Ihre wichtigsten Märkte?

In absoluten Zahlen ist es sicher Deutschland, dann Großbritannien. In UK haben wir zum Beispiel einen Private Label-Partner, für den wir eine Augenbrauen- und Wimpernfarbe produzieren und der sehr erfolgreich ist. Eine Woche lang waren wir sogar das bestverkaufte Produkt bei Amazon UK. Sehr gefragt sind wir auch in den nordischen Staaten, Polen und Australien.

In den USA sind wir auch aktiv, aber da gab es bisher ein Problem: Dort ist seit 1934 das bei uns gängige Färben von Wimpern und Augenbrauen mit oxidativen Farben nicht erlaubt. Wir haben unser Produkt bisher über einen Umweg als Spezial-Haarfarbe verkauft, wie das unsere Konkurrenten auch machen. Wir konnten aber keine Werbung dafür machen.

Aus diesem Grund haben wir für den amerikanischen Markt eine neue Formulierung mit Silber-Nitrat entwickelt. Diese wurde 2022 zugelassen und wir haben auch ein Patent dafür. Nun dürfen wir in den USA offiziell Augenbrauen- und Wimpernfarbe verkaufen und diese auch entsprechend bewerben. Davon versprechen wir uns mittelfristig sehr viel.

Aus Ihren Schilderungen kann man schließen, dass das Geschäft gut läuft?

Wir sind sehr zufrieden. Vor allem die Corona-Zeit hat uns einen Schub gegeben, der bis heute geblieben ist. 2020, am Anfang des ersten Lockdowns im März, waren wir wie alle leicht paralysiert. Wir haben nicht gewusst, was passieren wird. Ich habe eigentlich damit gerechnet, dass wir in diesem Jahr mindestens ein Viertel unseres Umsatzes einbüßen werden. Meine Hoffnung war damals, dass wir die bestehenden Aufträge zumindest noch zum Teil abarbeiten können.

Auf einmal kamen im April dann Aufträge aus England, Australien – alle aus dem Retailbereich. Wir konnten es zunächst nicht glauben und haben uns gedacht, die haben sich in der Kommastelle geirrt. Damals mussten ja Friseursalons und Kosmetikerinnen geschlossen halten - aber das hat dem Do-it-yourself-Markt einen massiven Boom beschert. Wir bekamen plötzlich so viele Aufträge, dass wir gar wussten, wie wir die erfüllen sollen.

Was sind Ihre Erwartungen an das heurige Geschäftsjahr?

2023 rechnen wir damit, dass wir fünf bis zehn Prozent über 2022 landen werden. 2020 und 2021 waren extrem gute Jahre. 2022 war ein herausforderndes Jahr. Wir führen ein Augenbrauen/Wimpern–Wachstums-Serum, das uns im vergangenen Jahr etwas zu schaffen gemacht hat. Bei der Einführung 2018 sind wir – auch dank Influencer - sehr erfolgreich gewesen. Das ist 2022 abgeflaut, weil viele Konkurrenzprodukte auf den Markt gekommen sind und ein Inhaltsstoff, Prostaglandin, zu Unrecht in Verruf geraten ist. Das führte dazu, dass hier die Umsätze zurück gegangen sind.

Auch den Ukraine-Krieg haben wir 2022 gespürt: Die Menschen in Deutschland und Österreich sind weniger oft zum Friseur gegangen. Das hat sich dann im Spätherbst interessanterweise wieder entspannt.

Für ihre Produkte benötigen Sie viele Vor-Produkte und Rohstoffe. Inwiefern sind Sie von Lieferketten-Problematiken betroffen?

Wir haben schon vor Jahren begonnen, uns weg von China und Fernost und wieder mehr Richtung Europa bzw. USA zu bewegen. Dadurch wurden nicht nur die Transportwege verkürzt, sondern auch die Kommunikation verbessert. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, kann ich zu einem europäischen Partner fahren oder ihn herbitten, um die Dinge auszureden.

Außerdem haben wir nie versucht, unsere Partner bis zum letzten Cent auszuquetschen. Das hat sich gerade in der jüngsten Vergangenheit bezahlt gemacht. Oft wurde uns gesagt: ‚Wir beliefern lieber euch als jemand anderen.‘ Wir haben eigentlich nie Kunden vertrösten müssen, dass sie ihre Produkte später bekommen. In den vergangenen Jahren betrug der Liefer-Service-Grad immer zwischen 90 bis 95 Prozent, wir sind gut durch die Krise gekommen.

Welche Auswirkungen haben die aktuell hohen Energiekosten?

Wir haben die Preissteigerungen bis Ende 2022 dank eines fixen Vertrages gar nicht gespürt. Und auch jetzt machen sie uns wenig zu schaffen. Wir sind nicht energieintensiv und unser Glück ist, dass wir schon vor Jahren eine Photovoltaik-Anlage angeschafft haben. 2017 war noch keine Rede von Energieengpässen. Wenn Sonne scheint, produziert die Anlage ausreichend Strom für den Betrieb und die Produktion, sodass wir nichts zukaufen müssen. Bei der Anschaffung damals haben wir die Anlage viel zu groß dimensioniert, aber mittlerweile ist das sehr angenehmen.

Automatisierung und Digitalisierung sind in der produzierenden Industrie ein großes Thema. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Wir sind sehr stark in diesem Bereich. Mein Ziel ist es, mit möglichst wenigen Mitarbeitern möglichst viel zu produzieren. Wir haben beispielsweise einen neuen Mascara-Füller. Früher benötigten wir vier Mitarbeiter für den Arbeitsprozess – das Füllen und Verschließen der Mascara-Fläschchen. Jetzt brauchen wir einen. Dieser überwacht den Ablauf und gewährleistet den Nachschub leerer Fläschchen.

Für unser Hauptprodukt RefectoCil bekommen wir gegen Ende des Jahres eine neue, komplett digitalisierte Maschine, einen Roboter. Damit können wir dann in der Minute 200 Stück abfüllen, mit der aktuellen Maschine gehen nur 50 Stück die Minute. Der Ablauf ist dann vollautomatisch gesteuert. Man kann sogar einprogrammieren, welche Farbe gerade produziert werden soll und mit welchen Ingredienzien.

Meist werden kleine, erfolgreiche Kosmetik- und Beautylabels früher oder später von internationalen Konzernen aufgekauft. Gab es für GW Cosmetics schon Übernahmeangebote?

Das gab und gibt es immer wieder. Ich habe aber immer abgelehnt. Mir macht es Spaß und ehrlich gesagt denke mir immer: Was mache ich dann? Das, was ich brauche, habe ich jetzt auch. Es geht mir nicht besser, wenn ich die Firma verkaufe. Daher stellt sich die Frage nicht.

Wenn Sie drei Dinge am Standort Niederösterreich ändern könnten, was würden Sie tun?

Wir sind erst 2009/2010 nach Leopoldsdorf gesiedelt, weil wir mehr Platz brauchten. Wir waren vorher in Wien, haben dort aber keinen passenden Standort gefunden. Die Gemeinde Leopoldsdorf hat uns damals sehr unterstützt, es gab auch Förderungen vom Land. Die Bürokratie war aber mühsam - wenn ich das gewusst hätte, hätte ich auf das Geld verzichtet.

Aber abgesehen davon, sind wir in Niederösterreich sehr zufrieden. Solange wir hier bleiben können, bleiben wir hier. Leopoldsdorf ist ideal gelegen: nahe an der Autobahn, man ist rasch beim Flughafen und die Öffi-Anbindung aus Wien ist gut.

Gibt es Expansionspläne?

Die Expansion machen wir laufend, aber Zukäufe sind kein Thema. Es sei denn, es bietet sich etwas ganz Tolles an. Wir führen immer wieder Gespräche, aber es war noch nie etwas dabei, wo ich gesagt habe: ‚Hurra, wunderbar.‘ Das Hauptproblem war bisher, dass es den meisten Unternehmen, zu denen wir Gespräche geführt haben, nicht so gut gegangen ist und wenn es ihnen gut gegangen ist, waren sie weit weg.

Welche Trends sehen Sie in der Kosmetik-Industrie?

Es ist alles viel kurzlebiger geworden und getrieben durch alle möglichen Influencer-Geschichten. Es kommt jeden Monat eine unglaubliche Zahl von neuen Produkten auf den Markt. Ich bin nicht überzeugt, dass das der richtige Weg ist. Diese Produkte sind meistens auch nicht neu, sondern nur etwas Altes in einem anderen Gewand. Ich sehe da keinen Mehrwert. Am Ende des Tages sind es Marketing-Geschichten.

Ich glaube vielmehr, dass man nicht dauernd etwas Neues auf den Markt bringen muss, sondern vielmehr das Bestehende in den Köpfen der Konsumentinnen und Konsumenten verankern sollte. Sie sollen wissen, dass es das Produkt auch in zwei oder fünf Jahren noch gibt. Unser Anspruch ist gerade bei Master Lin, die bestehende Produktpalette zu erweitern, zu verbessern und einen noch größeren Mehrwert für unsere Kundinnen und Kunden zu generieren.

Weiterhin im Vordergrund steht auch der Trend zur Natur. Der ist schon lange da und er wird sicher noch stärker. Hier ist für mich Thema, dass nicht immer 100-prozentig sicher ist, dass etwas Natürliches auch besser ist. Es gibt natürliche Rohstoffe, die überhaupt nicht besser sind als künstliche. Sondern ganz im Gegenteil. Da müsste man viel mehr Aufklärungsarbeit betreiben.

Ist Nachhaltigkeit In der Kosmetik-Produktion ein Thema?

Ja, das ist ein sehr großes Thema. Ich nenne hier ein Beispiel: Bei einem Produkt ist immer ein Beipackzettel mitverpackt. Da fragt man sich: Wozu eigentlich? Kann man den nicht weglassen und die Information online liefern? Die meisten Menschen werfen den Zettel ohnehin ungelesen weg. Man könnte dadurch Geld sparen, die Umwelt schonen, weniger Müll produzieren.

Nachhaltigkeit sehe ich auch im Bereich der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die sind unser Vermögen. Ohne sie würde das Unternehmen nicht funktionieren, weil ich allein kann gar nichts. Man braucht Mitarbeiter, die mit mir, mit uns an einem Strang ziehen. Das geht nur dann, wenn sie sich wohlfühlen und Wert geschätzt fühlen.

Sie waren Steuerberater, bevor Sie GW Cosmetics gekauft haben. Haben Sie den Berufswechsel je bereut?

Keine Sekunde. Das Steuerberaten war spannend und interessant. Und ich gebe zu – am Anfang war die Übernahme des Unternehmens auch ein großes Risiko, denn Beraten ist komplett etwas anders als plötzlich selber zu produzieren. Was mir so gut gefällt ist: Ich sehe, was ich tu. Es gibt ein neues Produkt, das gibt es dann im Geschäft, das kann man dann kaufen. Beim Beraten habe ich ja nichts gemacht, da habe ich Papier produziert.

In den vergangenen Jahren reihte sich eine Krise an die nächste –Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation, Lieferketten-Schwierigkeiten, hohe Energiepreise – wie geht man damit als Unternehmer um?

Ich muss ehrlich sagen: Das ich sowas noch erlebe, hätte ich mir nicht gedacht. Und ich glaube, mit dieser Denkweise bin ich nicht alleine. Ich bin ein positiver Mensch und lasse mich nicht so leicht von schrecklichen Nachrichten hinunterziehen. Ich versuche, aus allem das Bestmögliche zu machen. Das sage ich auch meinen Mitarbeitern: „Fürchtet es euch nicht.“

Es ist sicher schlimm, aber wenn man in die Vergangenheit zurückschaut: Es hat immer Zeiten gegeben, wo es schlimm war. Das vergisst man halt. In der aktuellen Situation versuche ich als Unternehmer unseren kleinen Kreis hier, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bestmöglich zu schützen, zu unterstützen und ihnen Sicherheit zu geben.

2030 wird 100 Jahre GW Cosmetics gefeiert – wo soll das Unternehmen ihrer Vision nach dann stehen?

Wir wollen in den nächsten Jahren den Weg, den wir die vergangenen 20 Jahre gegangen sind, weitergehen. GW Cosmetics selber soll man kennen. Man soll wissen, wofür wir stehen – nämlich für Nachhaltigkeit, tolle Produkte und für „Made in Austria“. Wir wollen uns als mittelgroßes Kosmetikunternehmen aus Österreich weiter weltweit etablieren. Wir wollen zeigen, dass man auch in unserem Land erfolgreich kosmetische Produkte entwickeln, produzieren und vertreiben kann – nicht nur in Frankreich oder in anderen Nationen.

 

Unternehmenseigentümer Rainer Deisenhammer von GW Cosmetics
Foto: GW Cosmetics