„Wir haben viele Facetten von New Work umgesetzt“

Knorr-Bremse-Geschäftsführer Jörg Branschädel erzählt im Interview, wie er im Spannungsfeld Kostenkontrolle, Effizienzsteigerung und Wachstum agiert.

Wie läuft das Geschäft? Die Konzern-Mutter in München spricht von starken Auftragseingängen und einem Auftragsbuch auf Rekordniveau. Gilt das auch für die niederösterreichische Niederlassung?

Bei Knorr-Bremse Österreich können wir ebenfalls eine rege Nachfrage nach unseren Systemen für Schienenfahrzeuge verzeichnen. Besonders stark nachgefragt werden derzeit unter anderem Klimatisierungslösungen mit umweltfreundlichen Kältemitteln, aber auch bei Bremssystemen gibt es eine sehr positive Entwicklung bei den Auftragseingängen.

Dazu kommt – und das haben gerade die vergangenen Jahre gezeigt: Die Bahnbranche ist auch in Krisenzeiten eine starke Branche. Das liegt auch daran, dass der Bahnsektor – neben privaten Investitionen – zu hohen Anteilen von Investitionen durch den Staat und die öffentliche Hand getragen wird. Außerdem ist die Bahn das umweltfreundlichste Verkehrsmittel für Massenbeförderungen. Es gibt daher ein hohes Bestreben auf allen Ebenen, den öffentlichen Verkehr auszubauen, da dieser als wichtiger Baustein auf dem Weg zur Erreichung der Klimaziele und zur Bewältigung der Klimakrise gesehen wird. Wir tragen dazu mit wichtigen Lösungen bei.

Welche Erwartungen haben Sie an 2023?

Für das laufende Jahr sind wir zuversichtlich, unseren erfolgreichen Kurs fortsetzen zu können.

Das ist eine gute Nachricht. Und mit welchen großen Themen befasst sich Knorr-Bremse gerade?

Mit den großen Herausforderungen wie steigenden Energiekosten, Lieferengpässen, Preissteigerungen bei den Vorprodukten und dem leider immer noch andauernden Krieg in der Ukraine müssen wir weiterhin umgehen. Wir müssen daher weiterhin konsequent auf unsere Kosten achten, sehr effizient wirtschaften und gleichzeitig das erwartete Wachstum managen.

Inwieweit war und ist Knorr-Bremse Mödling von den gestiegenen Energiepreisen betroffen?

Unsere Produktion ist energieintensiv, aber nicht intensiv genug, um bisher substanziell von Förderungen profitieren zu können. Die Preissteigerungen treffen uns daher stark. Sämtliche Mittel zur Reduzierung des Energiebedarfs, die wir selbst in der Hand haben, gehen wir schon seit vielen Jahren sehr aktiv an. Auch das aktuelle Ausmaß an Kostensteigerungen versuchen wir durch Maßnahmen abzufedern.

Viele Betriebe suchen teils händeringend nach Personal: Haben Sie genug Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Gut qualifizierte Mitarbeitende zu finden wird vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels schwieriger. Unter anderem bei jüngeren Fachkräften gelten wir in der Region jedoch als attraktiver Arbeitgeber. Zudem ist unsere Firmenkultur so angelegt, dass wir Leute langfristig halten wollen. Auch heute noch gibt es beispielsweise eine ganze Reihe Mitarbeitende, die bei uns angefangen haben zu arbeiten und auch bei uns in Pension gehen.

Können Sie das für heuer erwartete Wachstum mit dem bestehenden Personal stemmen?

Es ist wichtig für uns, insbesondere in zentralen Funktionen und den Entwicklungsbereichen unsere Kräfte immer stärker zu bündeln, wenn es um die Frage geht: Wie können wir die Effizienz unserer Prozesse steigern und weitere Synergiepotentiale nutzen?

Es wurde auch eine neue Abteilung etabliert: Processes & Methods. Dieses Team kümmert sich Vollzeit um die Umsetzung von Prozessoptimierungsprojekten. Sowohl agile Methoden als auch Digitalisierung spielen dabei eine wichtige Rolle. Durch mehr Effizienz kann der Mehrbedarf an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zumindest etwas abgefedert werden.

Wie sieht es mit den Lehrlingen aus?

Bei jungen Menschen besteht zum Glück großes Interesse an einer Ausbildung in unseren Lehrwerkstätten. Da profitieren wir sicherlich vom guten Ruf einer hochqualitativen, sehr praxisorientierten Lehre in der zukunftssicheren Bahnindustrie. Insgesamt bilden wir an beiden Standorten, also Mödling und Kematen/Ybbs, durchschnittlich 34 Lehrlinge aus.

Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, damit sich die Situation am Arbeitsmarkt bessert?

Es muss – sicherlich auch von Seiten der Politik – an vielen Enden angesetzt werden. Insgesamt muss sich der österreichische Arbeitsmarkt weiter für qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Ausland öffnen und weitere niederschwellige Angebote entwickeln. Die Attraktivität des hiesigen Arbeitsmarktes muss für ausländische Kräfte in Summe weiter gesteigert werden.

Wir für unseren Teil schaffen bei uns schon heute ein attraktives Umfeld, um junge Menschen anzuziehen. Insgesamt muss sich dafür aber auch das Bild von Industrie in den Köpfen der Menschen ändern: Wir bieten interessante, saubere und flexible Arbeitsplätze. In der Fertigung verfügen diese über einen hohen Grad an Automatisierung. Die Zeiten, in denen man in der Industrie in einem öligen und lauten Umfeld gearbeitet hat, sind vorbei. Im Bürobereich arbeiten unsere Mitarbeitenden unter modernen, ergonomischen Arbeitsbedingungen. Zudem sind wir Teil eines internationalen Konzerns und bieten entsprechende Standards.

Das Thema „New Work“ ist derzeit in aller Munde – die Arbeit neu denken. Ist ein derartiges Konzept auch in einem Industriebetrieb realistisch umsetzbar?

Wir verfolgen das Konzept schon seit längerem und haben in den Bürobereichen viele Facetten davon umgesetzt. Zum einen haben wir flexible Arbeitszeitmodelle – praktisch jede Stundenkombination ist denkbar – und umfangreiche Homeoffice-Möglichkeiten geschaffen, zum anderen investieren wir in hochwertige, moderne Arbeitsumgebungen mit ergonomischer Büroausstattung, frische, gesunde, regionale Küche im Betriebsrestaurant und flexible „Multispace“-Arbeitsmöglichkeiten. Dadurch ist das Arbeiten im Büro wieder sehr viel attraktiver.

In der Produktion lässt sich New Work natürlich nicht so einfach umsetzen. Wir produzieren im Zwei- und teilweise Drei-Schicht-Betrieb. Aber auch hier entwickeln wir das Arbeitsumfeld kontinuierlich weiter. Mittels Automatisierung entlasten wir speziell die Nachtschicht und reduzieren körperlich anstrengende Arbeiten. Zusätzlich fokussieren wir uns auf ergonomische, möglichst angenehme, klimatisierte Arbeitsbedingungen im Werk.

Sie als Geschäftsführer gehen auch einen neuen Weg, was Ihren Arbeitsplatz anbelangt und haben damit begonnen, statt nur in Ihrem Einzelbüro immer wieder auch mitten zwischen Ihren Mitarbeitenden zu sitzen…

Ich glaube, man muss auch als Führungskraft und als Geschäftsführer erleben, wie es sich in Großraumbüros arbeitet und was die Kolleginnen und Kollegen über alle Hierarchieebenen beschäftigt. Mein Ziel ist auch, dadurch die Hierarchien etwas flacher werden zu lassen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Signal zu geben, dass es einen unkomplizierten direkten Zugang zu mir gibt. Wir halten dann auch Mini-Townhall-Meetings unter dem Motto „Sagt mir, was euch beschäftigt“ ab. Dabei erfahre ich viele interessante Dinge.

Knorr-Bremse hat einen außergewöhnlichen Standort für ein Industrieunternehmen, nämlich direkt angrenzend an Wohngebiete der Stadt Mödling. Ist das ein Vor- oder Nachteil?

Der Unternehmensstandort befindet sich im Industriegebiet von Mödling und geht auf die 1923 errichteten ersten Firmengebäude der heutigen Knorr-Bremse Tochterfirma, der Dr. techn. Josef Zelisko GmbH, zurück. Im Lauf der Zeit hat sich die Stadt auf uns zubewegt. Mittlerweile haben wir auf der westlichen Standortseite Privatwohnungen als Nachbarn. Mit den Anrainern haben wir ein sehr gutes Auskommen und übererfüllen zudem auch alle Anforderungen der Gemeinde an unsere Firma.

Die Lage bietet den entscheidenden Vorteil, dass wir nur fünf Gehminuten vom Regionalbahnhof Mödling entfernt sind sowie über gute Autobahnanbindungen verfügen. Damit sind wir über ein Einzugsgebiet von circa 100 Kilometern rund um den Standort für Mitarbeitende gut erreichbar. Wir haben Leute aus Amstetten, aus Ungarn, aus der Slowakei, aus dem Burgenland oder dem nördlichen Wien.

Auch die Nähe zur größten österreichischen HTL in Mödling und vielen weiteren Bildungseinrichtungen ist ein starkes Plus. Wir sind zu circa 50 Prozent ein Entwicklungs-, Vertriebs- und Verwaltungsstandort und benötigen hier hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenso wie in der Produktion.

Sie haben 2021 das größte Ausbau- und Modernisierungsprojekt in der österreichischen Unternehmensgeschichte gestartet. Warum war das notwendig?

Um am Standort zu wachsen, benötigten wir mehr Flächen. Wir hatten rund 2.000 Quadratmeter ungenutzten Bereich, auf denen sich alte, verwinkelte Gebäude befanden, die nicht mehr passend für einen modernen Industriebetrieb waren. Diese wurden abgerissen und ein neues Büro- und Produktionsgebäude errichtet.

Dort haben wir auch für die 2021 neu integrierte Business Unit Merak Klimasysteme ein Zuhause geschaffen. Zusätzlich zum Neubau wurde und wird noch bis Anfang 2025 der Bestand umfangreich saniert.

Mit dem modernen, ansprechenden Firmensitz wollen wir uns nun auch nach außen als High-Tech Unternehmen präsentieren und unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein zeitgemäßes Arbeitsumfeld bieten.

Inwieweit spielt Nachhaltigkeit bei diesem Projekt eine Rolle?

Nachhaltigkeit ist uns ein großes Anliegen, der gesamte Konzern hat sich wichtige Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Die neuen Gebäude sind energietechnisch auf dem neuesten Stand, auf welchen nun auch die älteren Gebäude sukzessive gebracht werden. So wird zum einen durch Dämmung und außenliegenden Sonnenschutz eine hohe Energieeffizienz erreicht, zum anderen nutzen wir die Abwärme aus der Produktion für die Heizung der neuen Gebäude. Zudem wurde bei der Aufstockung des bestehenden Gebäudes auf Recycling-Holz für die Dachkonstruktion zurückgegriffen. Der nächste Schritt ist eine Photovoltaikanlage auf den Dächern.

Warum haben Sie sich dazu entschlossen, in der Stadt zu bleiben, statt raus in den ländlicheren Raum zu gehen?

Die Möglichkeit einer Übersiedlung wurde geprüft, doch insgesamt haben für uns die Vorteile des Standortes, wie etwa die gute öffentliche Erreichbarkeit, überwogen.

Weil wir beim Standort sind: Welche drei grundlegenden Dinge würden Sie am Standort NÖ ändern, wenn Sie könnten?

Die Verkehrsanbindung im Wiener Umland ist grundsätzlich gut, gerade aber an Tagesrandzeiten, wie vor der ersten Schicht oder nach der Spätschicht, wird das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln deutlich dünner. Hier besteht Handlungsbedarf beim weiteren Ausbau eines attraktiven öffentlichen Verkehrsnetzes. Dies würde dazu führen, dass nicht nur unsere Förderung von Tickets für öffentliche Verkehrsmittel noch umfangreicher genutzt werden könnte, sondern insgesamt der Umstieg auf umweltschonende Verkehrsmittel beschleunigt würde.

Sicher benötigen wir auch weiterhin Investitionen in ein leistungsfähiges Strom- und Datennetz. Energiewende und Digitalisierungsbestrebungen bedürfen einer geeigneten Infrastruktur.

Zudem muss sowohl die Landes- als auch die Bundespolitik weiterhin daran arbeiten, den Standort Österreich im internationalen Wettbewerb attraktiv zu gestalten. Dazu gehören u.a. die Themen Lohnnebenkosten und Standortförderungen. Ein wichtiger Punkt muss auch das Schaffen von niederschwelligen Rahmenbedingungen für mobilitätswillige Fachkräfte aus dem Ausland sein.

Knorr-Bremse setzt am Standort Mödling eine starke Automatisierungsstrategie um. Erzählen Sie mir mehr dazu…

Als ich zu Knorr-Bremse Österreich gekommen bin, habe ich mir die Frage gestellt: Wie wollen wir die Wettbewerbsfähigkeit im externen Wettbewerb wie auch im konzerninternen Standortwettbewerb weiterentwickeln?

Das führte zu unserer Strategie zu sagen: Wir müssen uns über führende Produktions- und Automatisierungstechnologien differenzieren, um mit unserem Zugang zu hochqualifizierten Experteninnen und Experten gegenüber Low-Cost-Ländern wettbewerbsfähig zu bleiben. Diese Strategie leistet einen wichtigen Beitrag dazu, den Standort langfristig zu sichern. Auch der Betriebsrat trägt diese Strategie mit. Einige operative Vorteile durch die Automatisierung sind zudem hohe Prozessstabilität, effizientere Produktion und Logistik sowie erhöhte Drei-Schichtfähigkeit und Kapazitätssteigerung.

Wie viele Roboter sind bei Ihnen im Einsatz? Welche Aufgaben übernehmen diese?

Derzeit setzen wir sieben Roboter ein, welche die Mitarbeitenden bei schweren Tätigkeiten erheblich entlasten und die Kapazitäten erhöhen. Gerade die dritte Schicht läuft in immer mehr Bereichen zunehmend autonom. Roboter übernehmen u.a. Schweißarbeiten bei der Produktion unserer Magnetschienenbremsen, kontrollieren automatisch die Qualität der Produkte und erhöhen die Ein- und Auslagerkapazität im Kleinteilelager signifikant.

Bei Ihnen gilt das Prinzip „Ware zum Mitarbeitenden“ statt „Mitarbeitender zur Ware“. Was bedeutet das?

Der automatisierte Transport der Ware zum Mitarbeitenden statt umgekehrt bedeutet eine wesentliche Ersparnis bei den Wegzeiten. Früher sind Mitarbeitende bis zu zehn Kilometer pro Tag im Lager hin und her gegangen. Das kann nicht effizient sein. Nun kommt die Ware über ein automatisches Shuttle und Förderanlagen zu den Mitarbeitenden. Allein dadurch haben wir die Produktivität im Lager verdreifacht.

Die vergangenen Jahre waren geprägt von einer Aneinanderreihung von Krisen: Corona, Ukraine-Krieg, Energiepreise, Inflation, Lieferketten usw. – mit einer derartigen Situation war in unserer Generation noch niemand konfrontiert. Wie gingen und gehen Sie als Chef eines Unternehmens mit dieser Situation um? Sie haben eine sehr große Verantwortung – für das Unternehmen, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und letzten Endes für die dahinterstehenden Familien.

Ich habe die beiden Krisen, Corona und Ukraine, als Pflicht wahrgenommen, schnell und konsequent zu handeln. Insgesamt haben wir erreicht, dass wir in beiden Krisen kontinuierlich gewachsen sind und die Produktion ohne einen Tag Unterbrechung weitergelaufen ist. Gerade in der Krise hat sich damit erneut gezeigt, dass wir ein sehr starkes Team sind und ein robustes Geschäftsmodell haben.

Bei Corona war für mich wichtig, der Belegschaft sehr rasch das Gefühl zu geben, dass ihr Arbeitsplatz sicher ist und wir alles tun, um gesundheitliche Schäden von allen abzuwenden. Persönlich war ich während dieser Zeit nahezu täglich vor Ort im Büro, um auch den Beschäftigten im Werk zu signalisieren, dass ich für sie da bin.