Interview: „Es ist wichtig, die Menschen zu informieren und ihre Bedenken zu hören“

Bernhard Wüster führt wüsterstrom, ein nö. Familienunternehmen für Stromerzeugung und -versorgung. Im Interview spricht er über aktuelle Herausforderungen, Österreichs Rolle in der Energiepolitik und den Umgang mit der "Not in my backyard"-Mentalität bei Energieprojekten in Österreich.

Wie läuft das Geschäft?

Bernhard Wüster: Das Geschäft von wüsterstrom läuft gut. Die Stromerzeugung hat aufgrund der gestiegenen Strompreise solide Ergebnisse erzielt, hingegen hat der Stromhandel Einbußen durch die steigenden Stromhandelspreise erlebt. Nichtsdestotrotz hat wüsterstrom im vergangenen Jahr, ähnlich wie viele andere Energieunternehmen, von den steigenden Energiepreisen profitiert.

Welche Projekte haben Sie heuer in Planung?

Ein Schwerpunkt liegt auf dem Ausbau unserer erneuerbaren Energien, insbesondere im Bereich der Photovoltaik. Darüber hinaus arbeiten wir an der Verbesserung unserer Stromnetzinfrastruktur, um die steigende Anzahl von Photovoltaikanlagen im eigenen Netzgebiet entsprechend anbinden zu können.

Wie schaut es mit Wasserkraft und Windkraft aus?

In Niederösterreich sind die Standortpotenziale für Wasserkraft weitgehend ausgeschöpft. Im Osten Niederösterreichs gibt es noch Potential für Windkraftanlagen, die nach und nach umgesetzt werden. Um das zu realisieren sind aber noch weitere Investitionen in die Leitungsinfrastruktur notwendig.

Bernhard Wüster
Foto: Wüsterstrom/Klingenboeck

Energieunternehmen sind seit etwas mehr als einem Jahr vom Schattendasein in den starken Fokus der Öffentlichkeit gerückt: Fast täglich wird über Energiepreise, fossile Energie vs. Erneuerbare Energie usw. debattiert, kritisiert und analysiert. Wie gehen Sie damit als Unternehmer um?

Als Energieunternehmen sind wir uns bewusst, dass wir in einer Zeit des intensiven öffentlichen Interesses operieren. Wir nehmen die öffentliche Debatte über Energiefragen ernst und bemühen uns, transparent zu sein und einen offenen Dialog mit verschiedenen Interessengruppen zu führen. Wüsterstrom setzet sich dabei aktiv für eine nachhaltige und umweltfreundliche Energieversorgung ein und arbeitet kontinuierlich an der Verbesserung der internen Prozesse in den Bereichen Energieversorgung und Netzinfrastruktur.


Sie führen das Unternehmen in 5. Generation. War es für Sie immer klar, dass Sie in das Familienunternehmen einsteigen werden?

Ja, das war für mich immer schon klar. Schon als Kind habe ich ein starkes Interesse an der Energiebranche und Elektrotechnik entwickelt, und ich bin stolz darauf, die Familientradition fortzusetzen zu dürfen. Um mehr Verständnis für das Handwerk des Elektrotechnikers zu haben, habe ich nach meinem Studium die Ausbildung zum Elektrikermeister nachgeholt, um auch die handwerkliche Seite des Unternehmens besser zu verstehen. Das hat mir bei meinem Einstieg ins Unternehmen geholfen, da es die Akzeptanz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich gesteigert hat.

Was ist Ihre langfristige Vision für das Unternehmen?

Ich möchte wüsterstrom als führendes regionales Unternehmen im Bereich erneuerbarer Energien und nachhaltiger Stromversorgung etablieren. Ich möchte dazu beitragen, dass Niederösterreich einen bedeutenden Beitrag zur Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen leistet und eine zuverlässige und umweltfreundliche Energieversorgung für die Zukunft gewährleistet wird.

Wie bewerten Sie den Wirtschaftsstandort NÖ?

Der Wirtschaftsstandort Niederösterreich hat viele positive Aspekte. Die Region bietet eine gute Infrastruktur, qualifizierte Arbeitskräfte und attraktive Rahmenbedingungen für Unternehmen. NÖ ist auch ein wichtiger Standort für erneuerbare Energien, was uns als Energieunternehmen sehr entgegenkommt.

Wenn Sie drei grundlegende Dinge am Industriestandort NÖ ändern könnten, was würden Sie tun?

Ich würde mich für eine noch stärkere Förderung von Innovationen und Forschung einsetzen, um neue Technologien und Geschäftsmodelle voranzutreiben. Zweitens würde ich die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Bildungseinrichtungen und der Regierung fördern, um eine enge Verknüpfung von Wirtschaft und Ausbildung sicherzustellen. Schließlich würde ich mich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen, indem ich Maßnahmen zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks und zur Förderung von umweltfreundlichen Praktiken unterstütze.

Wie sehen Sie den Energiekrisenbeitrag, den der Nationalrat jüngst erhöht hat? Inwieweit trifft Sie die Maßnahme?

Die Erhöhung des Energiekrisenbeitrags durch den Nationalrat hat natürlich Auswirkungen auf unser Unternehmen. Dennoch verstehen wir die Notwendigkeit solcher Maßnahmen, um die Energiekrise abzufedern.

Wie bewerten Sie eigentlich die Energiepreis-Situation im vergangenen Jahr 2022? Was das ein Marktversagen oder eine Verknappung, die zu hohen Preisen führte?

Die Energiepreis-Situation im Jahr 2022 war von verschiedenen Faktoren geprägt, darunter Marktentwicklungen, geopolitische Ereignisse und Angebots- und Nachfrageverhältnisse. Es ist schwierig, dies auf ein einziges Merkmal wie Marktversagen oder Verknappung zu reduzieren. Es ist ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Einflussfaktoren. Fakt ist aber, dass der Ukrainekrieg und die damit einhergehende Verknappung des Gases den Strompreis massiv nach oben gedrückt hat.

Wo sehen Sie die Rolle Österreichs in der europäischen Energiepolitik?

Österreich spielt eine wichtige Rolle in der europäischen Energiepolitik. Das Land hat ein beträchtliches Potenzial für erneuerbare Energien und ist bestrebt, dieses Potenzial zu nutzen und eine Vorreiterrolle in der Energiewende einzunehmen. Österreich kann eine aktive Rolle bei der Förderung der Zusammenarbeit und Koordination zwischen den europäischen Ländern einnehmen, um eine nachhaltige und sichere Energieversorgung für alle zu gewährleisten.

Wie bewerten Sie die Vorschläge zur EU-Strommarkt-Reform? Wie stehen Sie zum Merit-Order-System?

Die Vorschläge zur EU-Strommarkt-Reform sind ein wichtiger Schritt, um den Strommarkt effizienter und flexibler zu gestalten, wobei bis heute keine Einigung erzielt wurde.

Das Merit-Order-System kann dabei helfen, erneuerbare Energien zu fördern und eine kosteneffiziente Stromerzeugung sicherzustellen. In Krisenzeiten hat sich das Merit-Order-System, bei dem das teuerste Kraftwerk den Preis bestimmt, als suboptimal erwiesen. Hier wäre meiner Meinung nach mehr die Politik gefordert gewesen, zumal in Spanien die teuerste Kraftwerksart (Gas) subventioniert wurde und so der Strompreis niedrig gehalten wurde. Das Ergebnis sieht man auch in der deutlich niedrigeren Inflation.

Wie sieht Ihrer Meinung nach das System zur Stromversorgung der Zukunft in Österreich aus?

Das Stromversorgungssystem der Zukunft in Österreich wird voraussichtlich stärker auf erneuerbaren Energien basieren. Eine dezentrale Energieerzeugung, bei der erneuerbare Energiequellen wie Wasserkraft, Photovoltaik und Windkraft eine zentrale Rolle spielen, wird eine größere Bedeutung erlangen. Gleichzeitig werden Technologien zur Energiespeicherung und -steuerung an Bedeutung gewinnen, um die Schwankungen in der Stromerzeugung auszugleichen und eine zuverlässige Versorgung zu gewährleisten.

Ausbau der Erneuerbaren, erhöhter Strombedarf, Ausbau der Netzinfrastruktur: Geht sich das alles noch aus oder ist es möglich, dass wir Stromkrisen und Stromabschaltungen erleben, wenn alles in dem Tempo von jetzt weiter geht – nämlich viel zu langsam?

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien, der erhöhte Strombedarf und der Ausbau der Netzinfrastruktur gut koordiniert werden. Es erfordert eine langfristige Planung und Investitionen, um sicherzustellen, dass die Stromversorgung stabil bleibt und keine Krisen oder Abschaltungen die Wirtschaft Österreichs beinträchtigen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten ist hierbei unerlässlich, um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten und um auch die Stromversorgungssicherheit und damit auch den Industriestandort Österreich zu sichern.

Wie sehen Sie die "Not in my backyard"-Mentalität vieler Österreicherinnen und Österreicher, wenn es um Energiewende-Projekte geht (z.B. Windkraft)?

Das ist eine Herausforderung, mit der viele Projekte im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien konfrontiert sind. Es ist wichtig, die Bedenken der Menschen ernst zu nehmen und einen offenen Dialog zu führen. Eine transparente Informationspolitik, frühzeitige Beteiligung der Bevölkerung und die Kommunikation der Vorteile solcher Projekte können dazu beitragen, die Akzeptanz zu erhöhen.

Wie könnte man die Bevölkerung Ihrer Meinung nach bei großen Energieprojekten „abholen“? 

Es ist wichtig, die Bevölkerung bei großen Energieprojekten frühzeitig in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. Das bedeutet, dass die Menschen informiert werden und ihre Meinungen und Bedenken gehört werden. Eine umfassende Kommunikation und Aufklärung über die Vorteile und Notwendigkeit solcher Projekte kann dazu beitragen, die Bevölkerung zu überzeugen und eine breite Unterstützung zu gewinnen.

Wie sehen Sie die Energiepreissituation in den nächsten Monaten, sagen wir für den kommenden Winter? Wie lautet Ihre Prognose?

Die Energiepreissituation in den nächsten Monaten ist schwer vorherzusagen, da sie von vielen Faktoren abhängt. Es kann zu Schwankungen kommen, die durch geopolitische Ereignisse, Angebot und Nachfrage, Wetterbedingungen (Dürre, fehlender Wind, Hochwasser) und andere Faktoren beeinflusst werden. Eine genaue Prognose ist daher schwierig. Langfristig wird erwartet, dass die Preise für erneuerbare Energien tendenziell stabiler werden, da sich die Technologien weiterentwickeln und die Kosten sinken. Zum Vorkrisenstrompreis werden wir meiner Meinung nach nicht mehr zurückkommen.


Zum Unternehmen:

Wüsterstrom ist ein seit 1898 etabliertes Familienunternehmen, das sich auf die Erzeugung und Versorgung von Strom spezialisiert hat. Es produziert Strom aus Wasserkraft und Photovoltaik und versorgt damit ca. 4.000 Kunden in Ybbs und Umgebung.

Ebenfalls Teil der Firmengruppe ist ein Elektroinstallationsunternehmen, das Installationen für Gewerbe, Industrie und Haushalte ausführt. Aufgrund der hohen Strompreise ist auch die Nachfrage in Photovoltaikanlagen stark gestiegen, die wüsterstrom seit vielen Jahren verbaut. Bernhard Wüster führt das Unternehmen seit 2013.