Interview: “Jede Krise birgt die Chance, sich zu verbessern“

Ernst Gruber, Geschäftsführer von Axalta Coating Systems, über das schwierige Geschäftsumfeld mit stark gestiegenen Kosten, Kundenverlusten aufgrund der Russland-Krise und der deutschen Rezession. Er berichtet auch über die Auswirkungen auf den Standort Guntramsdorf und seine strategischen Ansätze, um diese Herausforderungen zu bewältigen.

Wie läuft das Geschäft?

Ernst Gruber: Das Geschäft generell ist sehr schwierig. Wir hatten stark mit steigenden Rohstoffpreisen zu kämpfen. Die Preise sind nun im Sinken, allerdings nicht auf das Niveau wie vor der Russland-Krise. Wir sind außerdem mit massiv gestiegene Energiepreisen konfrontiert. Momentan zahlen wir das Drei- bis Vierfache von den Jahren davor.

Die Russland-Krise und die damit verbundenen Sanktionen haben uns rund zehn Prozent unseres Geschäfts gekostet, und die deutsche Rezession beeinflusst uns als exportorientiertes Unternehmen stark. Unsere Exportrate beträgt 70 Prozent und unser Hauptmarkt ist Deutschland. Das heißt, wenn Deutschland schwächelt, dann schwächeln wir auch.

Zusätzlich haben auch die im Vergleich zu anderen europäischen Staaten hohe Inflation und die Lohn- und Gehaltserhöhungen in Österreich unsere Wettbewerbsfähigkeit stark beeinträchtigt.

Wir mussten Preiserhöhungen durchführen und nur zum Teil konnten wir die höheren Kosten eins zu eins weitergeben. Es hatte auch zur Folge, dass wir Kunden verloren haben.

Hat diese Situation Auswirkungen auf den Standort Guntramsdorf?

Der Standort Guntramsdorf hat bereits Auswirkungen gespürt, da die Produktionsmenge rückläufig ist und der Ertrag massiv gesunken ist. Dadurch mussten wir Kosten und Personal reduzieren, um wieder konkurrenzfähig zu werden.

Wie bewerten Sie insgesamt die Situation auf Ihrem Sektor?

Die Situation ist für alle Lack-Hersteller ähnlich. Global gesehen haben wir als Europäer sicherlich an Konkurrenzfähigkeit verloren und innerhalb von Europa haben wir als Österreicher gegenüber anderen Staaten verloren, die die Krise besser gemeistert haben oder zum Teil nicht diese hohen Zusatzkosten wie wir hatten - angefangen bei den hohen Energiepreisen aufgrund unserer Gasabhängigkeit bis zu den hohen Lohn- und Gehaltserhöhungen.

Es sind schwierige Zeiten und große Herausforderungen…

Ja, aber jede Krise und jedes Problem birgt natürlich die Chance, sich zu verbessern. Und das müssen wir. Unsere Hauptthemen sind daher in diesem Jahr und wohl auch 2024 Produktivitätsverbesserungen, die bessere Nutzung unserer Kapazitäten und die Kompensation dieser zusätzlichen Kosten, mit denen wir zu kämpfen haben.

Wo sehen Sie Marktchancen?

Wir wollen wir uns verstärkt dem osteuropäischen Markt zuwenden und dort Wachstum generieren. Hier sind wir mit dem Standort in Guntramsdorf weit besser positioniert als unsere Konkurrenten weiter westlich – ob das jetzt Deutschland, Frankreich oder die Benelux-Staaten sind.

Zudem bieten die Trends zu umweltfreundlicheren Lacken und funktionalen Beschichtungen Chancen für unser Unternehmen.

Erzählen Sie mir mehr zu den Trends…

Ein wichtiger Trend in unserer Branche ist die zunehmende Verwendung von wasserbasierten Lacken anstelle von lösemittelhaltigen Lacken. Bereits 70 Prozent unseres Volumens entfallen auf wasserbasierte Lacke und wir arbeiten an der weiteren Reduzierung des Anteils an lösemittelhaltigen Lacken.

Darüber hinaus wollen wir verstärkt auf biobasierte Rohstoffe anstelle von petrochemischen Rohstoffen setzen. Ein weiterer Trend sind funktionelle Beschichtungen, die durch die aktuellen Megatrends wie Elektroautos oder steigende Temperaturen hervorgehen.

Unser Ziel ist es, die Lebensdauer von beschichteten Oberflächen zu erhöhen und gleichzeitig einen zuverlässigen Schutz zu bieten. Ein unbeschichtetes Auto würde beispielsweise in wenigen Jahren rosten, daher ist der Schutz durch Beschichtung von großer Bedeutung. Die Lebensdauer eines Autos mit Korrosionsschutz beträgt circa 20 Jahre, ohne Korrosionsschutz circa zwei Jahre.

Darüber hinaus arbeiten wir an der Hitzebeständigkeit von Lacken und der Möglichkeit, kühlende Effekte durch unsere Lacktechnologie zu erzeugen.

Ein interessanter Ansatz ist auch die Entwicklung von selbstheilenden Lacken, die Kratzer automatisch schließen und die Oberfläche in ihrem ursprünglichen Zustand halten können.

Diese Entwicklungen sind bereits in vollem Gange und werden teilweise schon eingesetzt. Allerdings variiert die Geschwindigkeit der Einführung je nach Markt.

Insgesamt spielen diese Trends eine entscheidende Rolle bei unserer strategischen Ausrichtung und bieten uns Chancen für zukünftiges Wachstum und Innovation in der Lackindustrie.

Welche Themen und Projekte gibt es mittelfristig?

Wir müssen uns mit den Auswirkungen des EU-Green Deals auseinandersetzen, insbesondere mit den strengeren Regulierungen und Einschränkungen in der Verwendung bestimmter Stoffe, die auch die Lackindustrie betreffen.

Der administrative und bürokratische Aufwand, den wir jetzt schon betreiben, ist sehr groß - und er wird in den nächsten Jahren noch viel größer, wenn die Bestimmungen der EUO wirksam werden. Da geht es um die Verpackungsverordnung, um den Kreislaufzyklus, das Lieferkettengesetz etc.

Beim Strom haben wir schon komplett auf erneuerbare Energien umgestellt. Die Stapler-Flotte ist bereits ausschließlich elektrobetrieben Es gibt eine Lösungsmittel-Rückdestillationsanlage. Es wird kein Nutzwasser mehr zum Betreiben und zum Kühlen von Maschinen, sondern es gibt einen internen Kühlungskreislauf, der das durchführt.

Wie gefährlich ist die Konkurrenz aus dem asiatischen Raum?

Die Konkurrenz aus Asien ist nicht unser Hauptproblem. Innerhalb Europas gibt es derzeit einen intensiven Konkurrenzkampf im Lacksektor. Es gibt schon länger den Trend, dass die Großen die Kleinen schlucken. Es wird weitere Akquisitionen geben.

Viele Betriebe kämpfen mit einem Arbeitskräftemangel – wie schaut es bei Ihnen aus? Finden Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Sie brauchen?

Der Arbeitskräftemangel stellt für uns eine kontinuierliche Herausforderung dar. Obwohl es viele Arbeitslose gibt, haben wir Schwierigkeiten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, die wir benötigen. Dies gilt nicht nur für uns, sondern auch für andere Unternehmen in der chemischen Industrie und im Lackbereich.

Wir beobachten dabei bestimmte Trends, die die Mitarbeitersuche erschweren. Es gibt eine Abneigung gegen Schichtarbeit, eine Präferenz für eine verkürzte Arbeitswoche oder Teilzeitarbeit. In der chemischen Industrie haben wir auch mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass wir Umweltverschmutzer seien und für Klimawandel verantwortlich seien, was natürlich so nicht stimmt.

Zusätzlich haben wir in unserem Hochsicherheitsbereich spezifische Anforderungen an Arbeitskleidung und persönliche Schutzausrüstung, die nicht jeder Bewerber akzeptieren möchte.

Trotz unserer Bemühungen, die Ausbildung attraktiver zu gestalten und den Zugang zu adäquaten Arbeitskräften zu erleichtern, sind einige Hindernisse schwer zu überwinden. Es ist beispielsweise nicht möglich, Homeoffice für produktionsnahe Jobs anzubieten oder auf das Tragen von Schutzbekleidung zu verzichten.

Wenn Sie drei grundlegende Dinge am Industriestandort Niederösterreich ändern könnten, was würden Sie tun?

Die Bürokratie reduzieren und den administrativen Aufwand beziehungsweise die Behördengänge nicht nur verkürzen, sondern auch zu beschleunigen. Wir warten oft sehr lange auf Genehmigungen.

Was den Fachkräftemangel anbelangt: Die derzeitige Rot-Weiß-Rot-Card ist nur bedingt hilfreich, da sie zeitlich begrenzt ist. Dadurch haben wir im Vergleich zu anderen Ländern, in denen es keine befristeten Arbeitsgenehmigungen gibt, einen erheblichen Nachteil.

Darüber hinaus sollten wir uns in Niederösterreich mit wichtigeren Themen beschäftigen als beispielsweise die Vorschriften für österreichische Speisen in Gasthäusern und Restaurants. Diese Angelegenheiten sind eine Verschwendung von Kapazitäten. Stattdessen sollten wir uns auf die Zukunft konzentrieren, insbesondere auf den leichteren Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften.

Eine Luftaufnahme vom Standort von Axalta Coating Systems in Guntramsdorf (Bezirk Mödling).
Foto: Axalta Coating Systems

Zum Unternehmen: 

Axalta Coating Systems ist ein weltweit führender Anbieter innovativer industrieller Flüssig- und Pulverlacke. Die Geschichte des Unternehmens reicht bis in das Jahr 1866 zurück. Seitdem hat es sich zu einer treibenden Kraft in der Branche entwickelt und bietet mit mehr als 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und seinen mehr als 100.000 Kunden in 130 Ländern Hochleistungslacke, Anwendungssysteme und Lacktechnologien für Automobil-, Industrie- und Architekturanwendungen. Am Standort in Guntramsdorf sind ca. 270 Mitarbeiter beschäftigt.