Industrie: Blick auf die nächsten Monate

Die Industrie in Niederösterreich steht vor schwierigen Zeiten, aber es gibt Möglichkeiten, langfristig stabile Grundlagenzu schaffen, sagt Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV).

Bereits Ende 2022 gab es Anzeichen für eine erhebliche wirtschaftliche Abkühlung. Eine solche konnte durch wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Bewältigung der steigenden Energiepreise zunächst abgewendet werden, aber strukturelle Defizite belasten die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft weiterhin. „Vor diesem Hintergrund ist für das kommende Winterhalbjahr doch noch eine Rezession in der Industrie zu befürchten“, analysiert IV-Chefökonom Christian Helmenstein im Interview mit „iv-positionen“.

IV-Chefökonom Christian Helmenstein
Foto: IV

Dabei ist das Lagebild von enormen Unterschieden zwischen den Branchen geprägt. Die Produktionsvolumina in der Elektronik- und Elektrotechnikbranche und im Bereich der erneuerbaren Energieträger werden voraussichtlich weiter zunehmen, die Automobilindustrie hat nach längerer Durststrecke auf einen Erholungspfad eingeschwenkt, hingegen stehen die Papier- und Pappeindustrie, der Wohnungsneubau und damit ein Teil des Baugewerbes sowie segmentabhängig die chemische Industrie und der Maschinenbau vor großen Herausforderungen. 

„Wir erwarten keine erneute ökonomische Großkrise wie seinerzeit im Gefolge der Insolvenz der Lehman Brothers mit flächendeckenden Betriebsschließungen, vielmehr wird der überwiegende Teil der Unternehmen unter erheblichen Ertragsdruck – zusätzlich zur Überbürokratisierung - geraten, was die Investitionsneigung zusätzlich belasten wird“, lautet Helmensteins Prognose.

Chancen durch Digitalisierung und Rohstoffe

Trotz der eingetrübten Aussichten sieht der IV-Chefökonom auch positive Aspekte. Die fortschreitende Digitalisierung bietet die Perspektive, wieder höhere Zuwächse bei der Arbeitsproduktivität zu erreichen. Diese sind auch unbedingt erforderlich, um die inflationsbedingt enorm hohen Lohnzuwächse der jüngsten Zeit zumindest zum Teil zu kompensieren. „Insbesondere geht es um Investitionen in die digitale Kompetenz der Beschäftigten sowie die flächendeckende Nutzung von Cloud-Infrastruktur in Österreich“, zeigt Helmenstein auf. Aufgrund der derzeitigen globalen Wachstumsschwäche stehen zudem die Preise vieler Industrierohstoffe unter Druck, was zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung auf den nachfolgenden Wertschöpfungsstufen beitragen kann.

„Aufschwung made in Austria als Ziel für die Wirtschaftspolitik, konsequente Digitalisierung und fortgesetzte Internationalisierung als zentrale Handlungsfelder in den Unternehmen.“


Vorsichtiger Optimismus für 2024

Für den weiteren Konjunkturverlauf im Jahr 2024 zeigt sich Helmenstein vorsichtig optimistisch, betont jedoch, dass die Qualität der Standortpolitik eine entscheidende Rolle spielt. Der Abbau von Bürokratie, verkürzte Anlagen-Genehmigungsverfahren sowie zusätzliche Investitionsanreize können einen positiven Einfluss auf die Erwartungshaltung in den Unternehmen ausüben und den Aufschwung beschleunigen: „Selten zuvor hatte es die österreichische Politik in einem so hohen Ausmaß selbst in der Hand, wie rasch und kräftig der nächste Aufschwung einsetzt, um wie viel besser also das Wirtschaftsjahr 2024 gegenüber 2023 ausfallen wird.“

Indien als vielversprechender Markt der Zukunft

Als einem der perspektivisch interessantesten Märkte für die niederösterreichische Industrie gebührt Indien ein steigendes Maß an strategischer Aufmerksamkeit: „Inzwischen rangiert die indische Volkswirtschaft nach Maßgabe ihres wirtschaftlichen Gewichts an fünfter Stelle weltweit hinter der deutschen und bereits vor der britischen und der französischen. Dennoch erreicht Indien derzeit kaum ein Fünftel des wirtschaftlichen Gewichts Chinas. Daher ist das Land noch nicht in der Position, die USA oder China in ihrer Rolle als Weltkonjunkturmotoren abzulösen, aber die Situation ähnelt jener vor 25 Jahren, als der Take-off Chinas mit seiner verstärkten Eingliederung in die internationale Arbeitsteilung einsetzte. Seine Volkswirtschaft gewinnt als aufstrebender Akteur auf der Weltbühne mehr und mehr an Gewicht. Indien bietet enorme Potenziale für frühzeitig agierende Unternehmen", analysiert Helmenstein. Eine verstärkte Akzentuierung des indischen Marktes könnte sich somit als strategisch vorteilhaft erweisen und neue Chancen für die stark exportorientierte niederösterreichische Industrie eröffnen.