Die Lage der niederösterreichischen Industrie bleibt angespannt: Laut der aktuellen Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung Niederösterreich (IVNÖ) erwarten die niederösterreichischen Industrieunternehmen in diesem Jahr keine Erholung mehr.
Christian Helmenstein, Chefökonom der IV, sieht die Branche am Beginn eines dritten Rezessionsjahrs. „Seit dem zweiten Quartal 2022, dem Höhepunkt des Erholungszyklus nach der Covid-Pandemie, erleben wir eine anhaltend rezessive Entwicklung“, so Helmenstein. Diese rezessive Tendenz könnte sich bestenfalls zu einer Stagnation wandeln, falls keine grundlegenden wirtschaftspolitischen Reformen eingeleitet werden. Besonders besorgniserregend sind laut Helmenstein die strukturellen Verschlechterungen in Bezug auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Traditionell starteten in der Vergangenheit Aufschwünge in Österreich mit positiven außenwirtschaftlichen Impulsen, die sich in verstärkten Investitionen und Beschäftigungswachstum niederschlugen. Doch derzeit fehlen diese Impulse von den großen Wirtschaftsnationen USA und China, die selbst mit internen Problemen kämpfen.
Neben den schwachen globalen Rahmenbedingungen sieht Helmenstein ein grundlegendes Problem: „Wir brauchen attraktive, wettbewerbsfähige Produkte und Dienstleistungen, doch unsere hohen Energiepreise, die stark gestiegenen Arbeitskosten und der Bürokratie-Tsunami unterminieren unsere Konkurrenzfähigkeit.“ Die Folge: Österreich verliert international an Marktanteilen. Wenn kein Umdenken stattfinde, könne das Geschäftsmodell der österreichischen Industrie überhaupt infrage gestellt sein.
Derzeit sind die Industriebetriebe gezwungen, ihre Kosten drastisch zu reduzieren, was sich auch auf den Arbeitsmarkt auswirkt: Die Arbeitslosigkeit in der Industrie steigt, da Unternehmen in der aktuellen wirtschaftlichen Situation nicht mehr in der Lage sind, ihre Belegschaft zu halten – trotz des demografischen Alterungsprozesses und der im nächsten Aufschwung wieder auftretenden Knappheit an Fachkräften.
Helmenstein hofft, dass die Nationalratswahl zum Gamechanger wird: „Der aktuelle wirtschaftliche Kurs kann nicht fortgeführt werden, da er zur Deindustrialisierung Österreichs führen würde. Das wäre mit geradezu fatalen Konsequenzen verbunden. Wir sollten uns vor Augen führen, dass auch die Mobilitäts- und Energiewende ohne eine eigene industrielle Basis nicht gelingen kann.“ Für die kommende Bundesregierung sieht Helmenstein dringenden Handlungsbedarf: Ein drastischer Bürokratieabbau, verbesserte Planungssicherheit für Investitionen sowie die Schaffung von wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen sind für ihn die wichtigsten Themenfelder, um die Industrie wieder auf Kurs zu bringen. Trotz der schwierigen Aussichten gibt es laut Helmenstein Potenziale, die von den Unternehmen in Österreich noch aus eigener Kraft gehoben werden könnten: „Eine Vorwärtsstrategie besteht darin, die Arbeitsproduktivität zu steigern und dazu die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz zu nutzen“, betont er. „Kumulativ bis zu 18 Prozent zusätzliches Bruttoinlandsprodukt wären bei konsequenter KI-Nutzung in den nächsten zehn Jahren möglich.“