Bei einer kürzlich erfolgten Geschäftsreise nach China wurde mir erneut vor Augen geführt, wie deutlich sich die asiatische Industrie verändert hat und wie wichtig in Europa eine rasche, kritische Auseinandersetzung mit Wettbewerbsfähigkeit und Leistung ist.
Seit Ausbruch der Corona-Pandemie ist es mein erster Aufenthalt in China gewesen, und die Entwicklung, die das Land genommen hat, hat mich schlichtweg beeindruckt. Lange hatten die Chinesen den Ruf als Meister des billigen Kopierens, doch diese Zeiten gehen dem Ende zu. Was ich sah, war eine junge Generation, die mit einem völlig neuen Selbstverständnis, Innovationskraft und einem enormen Selbstbewusstsein auftritt.
Europa in der Zwickmühle
Die Menschen zeichneten sich durch eine bemerkenswerte Arbeitsmoral und einen Eifer aus, der in Europa seinesgleichen sucht. Während in China Wochenendarbeit, ein weitaus kürzerer Jahresurlaub und Krankenstand ohne Bezahlung die Norm sind, diskutieren wir in Europa über Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Dabei dürfen wir nicht vergessen: Die Grundlage unseres Wohlstands und unserer Lebensqualität wurde durch Fleiß und harten Arbeitseinsatz vorheriger Generationen geschaffen.
Europa steht an einem Scheideweg. Die Herausforderungen sind mannigfaltig: hohe Energiepreise, Inflation, und im internationalen Vergleich hohe Lohnkosten zehren an unserer Wettbewerbsfähigkeit. Als Vertreter der Industrie in Niederösterreich sehe ich es als meine Pflicht, dabei mitzuwirken, diesen Trend nicht nur zu stoppen, sondern umzukehren. Wir müssen den Industrie- und Wirtschaftsstandort stärken, ihn attraktiver machen. Dies erfordert auch und vor allem eine grundsätzliche kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeitsmoral und der Bereitschaft, sich den Realitäten eines globalen Marktes zu stellen. Eine Debatte über eine VERLÄNGERUNG der Arbeitszeit auf beispielsweise 41 Stunden pro Woche bei gleicher Bezahlung täte uns mehr als gut.
Die neue chinesische Selbstwahrnehmung
Was mich während meines Aufenthaltes in China auch beeindruckte, war der unbedingte Wille zur Innovation. Die jüngere Generation will nicht mehr kopieren; sie strebt danach, selbst zu erfinden und Innovationen vorzunehmen. Dies, gepaart mit einem völlig anderen beruflichen Engagement hat China in eine Position gebracht, in der das Land nicht mehr als Billiglohnland gilt, sondern als ernstzunehmender Qualitäts- Wettbewerber auf dem globalen Markt.
Europa, und insbesondere wir in Österreich, müssen daraus lernen. Wir können es uns nicht leisten, in Selbstzufriedenheit zu verharren. Die Freude an Leistung und Erfolg, die in China aktuell zur Norm wird, sollte uns als Motivation dienen, um unsere eigenen Standards zu überdenken. Es geht nicht darum, das europäische Sozialmodell mit Urlaub oder Krankenstand abzuschaffen, sondern vielmehr darum, einen Weg zu finden, Leistung und Innovation zu fördern und langfristig finanzierbar zu machen, ohne diese sozialen Errungenschaften zu untergraben.
Klimaschutz als Wachstums-Case – nicht als Cost-Case
Auch im Bereich des Klimaschutzes zeigt China, dass ambitionierte Ziele nicht nur notwendig, sondern auch eine Chance für wirtschaftliches Wachstum sind. Während Europa nur verbietet und mehr debattiert, setzt China einfach um. Als Unterstützer des Klimaschutzes mit Hausverstand sehe ich hier weiter große Chancen für Europa eine Führungsrolle einzunehmen, indem wir innovative Lösungen entwickeln, die sowohl unseren Planeten schützen als auch unsere Wirtschaft stärken.
Es ist an der Zeit, dass Europa, dass wir in Österreich, selbstbewusst aus dem Schatten treten und die Zeichen der Zeit erkennen. Die Konkurrenz schläft nicht, sie arbeitet. Und während wir über die Work-Life-Balance debattieren, gestaltet die junge Generation in China die Zukunft. Unser Ziel muss es sein, ein europäisches Umfeld zu schaffen, in dem sich Freude an der Leistung lohnt und in dem wir die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts als Chancen begreifen. Europa besitzt ein enormes Potenzial – geprägt durch Kaufkraft, Intelligenz und Innovationskraft. Mit diesem Vertrauen in unsere Stärken können wir mit Selbstbewusstsein und Optimismus die Zukunft unseres Kontinents formen.