Erwin Hameseder, Obmann der Raiffeisen-Holding Niederösterreich-Wien und Generalanwalt des Österreichischen Raiffeisenverbandes, gehört zu den renommiertesten Bankmanagern im Land. Im Interview spricht er über die Performance der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien und die wirtschaftlichen Auswirkungen der Industrierezession. Als Milizbeauftragter und Generalmajor hat er außerdem einen umfassenden Einblick in die Sicherheitslage Österreichs.
Wie ist die bisherige Performance der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien in diesem Jahr? Und wie lautet Ihr Ausblick für die zweite Jahreshälfte 2024?
Erwin Hameseder: Die Raiffeisen-Holding NÖ-Wien und ihre Beteiligungsunternehmen legten im vergangenen Jahr mit einem sehr guten Ergebnis eine mehr als solide Basis für 2024. Und auch heuer sind wir bisher wieder sehr gut unterwegs. Die Raiffeisen-Holding NÖ-Wien wird ihren Weg mit Fokussierung auf aktives Beteiligungsmanagement und auf absolute Kundenzentrierung weiter vorantreiben und innovative Lösungen entwickeln. Mit Blick auf das zweite Halbjahr bin ich deshalb – trotz aller wirtschaftlichen Verwerfungen und globalen Herausforderungen – optimistisch.
Hameseder: Erfolgreiches Wirtschaften funktioniert grundsätzlich nur dann, wenn ein Unternehmen in ein verlässliches und belastbares Netzwerk eingebettet ist. Die IV NÖ ist ein solcher starker Partner, mit dem gemeinsame Lösungen gegenüber komplexen Herausforderungen erarbeitet werden, und der bei der Vertretung von unternehmerischen Interessen mit Gewicht und Durchsetzungskraft auftritt. Gerade in der aktuellen Zeit mit vielen wirtschaftlichen Unsicherheiten und Verwerfungen ist die starke Stimme der IV NÖ unverzichtbar.
Angesichts der aktuellen rezessiven Phase der Industrie in Österreich: Welche Auswirkungen hat das auf das Geschäft der RLB NÖ-Wien bzw. das Banken-Geschäft insgesamt? Bzw. wie sieht es generell mit (Betriebs-)Investitionen in den Standort NÖ/Ö aus? Können Sie ein Stimmungsbild abgeben?
Hameseder: Auf der einen Seite sehen wir zurzeit allgemein eine gewisse Zurückhaltung in der Kreditnachfrage, wobei hier relativiert werden muss: Die Nachfrage ist zwar geringer als im Vorjahr, wir gehen aber nach wie vor von einem Kreditwachstum aus. Auf der anderen Seite sehen wir, dass Investitionen in das Thema Nachhaltigkeit, nicht zuletzt zur Erreichung der Klimaziele, in den Vordergrund rücken. Positiv ist, dass die Planbarkeit für Unternehmen mit Blick auf die Zinskosten wieder besser gegeben ist. Jedoch spürt die Wirtschaft diese nach wie vor. Zudem kommen einzelne Unternehmen durch die gestiegenen Personal- und Energiekosten auch auf der Ertragsseite unter Druck. Unternehmertum bedeutet jedoch mutige Entscheidungen zu treffen und nach vorne zu denken. Es gilt, Zukunftschancen – z.B. durch verantwortungsvolle Nutzung von KI oder in der Nachhaltigkeit – nicht zu versäumen, um weiterhin – vor allem auch im europäischen Vergleich – wettbewerbsfähig zu bleiben. Stichwort Stimmungsbild: Aktuelle Studien zeigen deutlich, dass Unternehmen die Gesamtwirtschaft meist schlechter beurteilen als die ökonomische Lage des eigenen Unternehmens.
Wie sehen Sie die Rolle der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien in der Förderung und Stärkung der regionalen Wirtschaft und Gesellschaft, insbesondere im Kontext der aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen?
Hameseder: Wir erleben Zäsuren wie steigende Energiekosten, massive Volatilitäten bei Rohstoffen, die Inflation, akute Krisen und Konflikte – von der Ukraine bis in den Nahen Osten. Aber auch eine unglaubliche Revolution des technischen Fortschritts, der Digitalisierung, der künstlichen Intelligenz bis hin zu den großen Herausforderungen des Klimawandels. All diese Entwicklungen geben vielen Menschen Anlass zu Sorge. In der aktuellen Zeit sind Werte wie Nähe, Verlässlichkeit und Vertrauen besonders wichtig. Werte, die Raiffeisen als resilienten Partner ausmachen und auch mit dem Ziel verknüpft, die Wertschöpfung zurück in die Regionen zu bringen bzw. sie dort zu halten.
Viele – von Privatpersonen bis zu Unternehmen - sind an der Zinsentwicklung interessiert. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung nach der EZB-Entscheidung vom 6. Juni 2024?
Hameseder: Grundsätzlich ist das positiv zu werten. Es sind heuer weitere „kleine“ Zinssenkungen jeweils im September und Dezember in der Höhe von je 25 Basispunkten zu erwarten. Auch 2025 ist davon auszugehen, dass die EZB-Leitzinsen weiter behutsam gesenkt werden – das steht und fällt jedoch mit dem weiteren Inflationsverlauf. Eines ist klar: Zinssenkungen im Zeitraffer werden wir höchstwahrscheinlich nicht erleben, sofern geopolitisch nichts passiert.
Wie bewerten Sie den Industrie- und Wirtschaftsstandort Niederösterreich insgesamt? Ist er ein attraktiver Ort für Betriebsansiedlungen? Und welche drei Veränderungen würden Sie am Standort Niederösterreich vornehmen, wenn Sie könnten?
Hameseder: Niederösterreich punktet mit überdurchschnittlich hohen Wachstumsraten, einer besonders ausgeprägten Exportorientierung, einem Fokus auf Technologie und Innovation sowie ausnehmend vielen Unternehmensgründungen. Konkret in Zahlen heißt das: Beinahe jedes fünfte heimische Unternehmen wird in Niederösterreich gegründet. Rund 46,5 Prozent von Unternehmerinnen, was über dem Bundesdurchschnitt liegt und mich sehr freut. Zur Stabilität und Attraktivität des Wirtschaftsstandorts trägt nicht zuletzt auch ecoplus als Wirtschaftsagentur des Landes Niederösterreich wesentlich bei. Wir sind langjähriger Partner von ecoplus und arbeiten gemeinsam daran, Niederösterreichs Wirtschaft zu unterstützen. Es gilt, die Dynamik zu erhalten! Denn wir erleben über die vergangenen Jahre beispielsweise eine wahre Flut von neuen Gesetzen und Verordnungen – insbesondere aus Brüssel. Ich habe die Hoffnung, dass sich das mit der neuen EU-Administration ändert.
Raiffeisen NÖ-Wien ist über Beteiligungen auch in Zentral- und Osteuropa aktiv. Welchen Vergleich können Sie zwischen dem österreichischen Markt und den Märkten in Zentral- und Osteuropa ziehen? Was funktioniert in Österreich besser und schlechter als anderswo?
Hameseder: Die Beteiligungsunternehmen von Raiffeisen NÖ-Wien wie beispielsweise die RBI, Agrana oder die LLI (Leipnik-Lundenburger Invest) haben bei der Transformation der CEE Länder hin zu freien Marktwirtschaften eine sehr entscheidende Rolle gespielt. Einige dieser Länder sind bei der Transformation schon sehr weit vorangekommen, insbesondere jene Länder, die im Zuge der EU-Osterweiterung vor 20 Jahren Mitglied der EU geworden sind. Wir haben in Österreich das Privileg, in einem Land mit einem sehr hohen Lebensstandard, einer exzellenten Infrastruktur und Rechtssicherheit zu leben. Wenn ich mir etwas für die CEE-Länder wünschen dürfte, wäre das eine Verbesserung beim letzten Punkt, nämlich der Rechtssicherheit. Hier herrscht in einigen CEE-Ländern relevanter Verbesserungsbedarf. Umgekehrt würde ich mir für Österreich wünschen, dass wir uns etwas von der Dynamik der CEE-Länder abschauen.
Welche Länder betrachten Sie als Hoffnungsmärkte?
Hameseder: Ich denke, die wichtigsten Märkte für unsere Beteiligungen sind beispielsweise Tschechien, die Slowakei, Rumänien und Ungarn. Erwähnen möchte ich auch die Ukraine. Die Netzwerkbank der Raiffeisen Bank International ist dort die größte ausländische Bank und nimmt eine ganz wichtige Rolle bei der Unterstützung der ukrainischen Wirtschaft und der ukrainischen Bevölkerung ein. Wenn der fürchterliche Krieg dort beendet ist, wird sie eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau des Landes spielen.
Als Milizbeauftragter des Bundesheeres und Generalmajor verfügen Sie über tiefe Einblicke in die globale und österreichische Sicherheitslage. Wie würden Sie die aktuellen Entwicklungen in Europa und weltweit einschätzen?
Hameseder: Das „Risikobild 2024“ liefert die wichtigste Grundlage in Österreich, was die Einschätzung und Beurteilung der Gefahren und Risken, mit den wir gegenwärtig und auch künftig konfrontiert sind, anbelangt. Diese umfassende Analyse der Sicherheitsexperten liefert leider ein pessimistisches Bild. Beim Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist derzeit kein Ende absehbar, der Nahostkonflikt befindet sich auf hoher Eskalationsstufe und mäandert zwischen kriegerischen Auseinandersetzungen und Diplomatie. Die Weltordnung, wie wir sie lange gekannt haben, gibt es so nicht mehr. Neue Allianzen und Machtansprüche entstehen bzw. weiten sich aus. Die EU tut gut daran, wenn es geeint und auf Basis von militärischer und wirtschaftlicher Solidarität zusammen steht mit der Ukraine in der kriegerischen Auseinandersetzung mit Russland. Die EU war und ist nach wie vor das wichtigste Friedensprojekt in der Nachkriegspolitik.
Sie haben die Globalisierung als ein erhebliches Sicherheitsrisiko bezeichnet. Warum?
Hameseder: Schauen wir auf die teils eingebrochenen Lieferketten, die nichts weniger als das Rückgrat des internationalen Handels sind. Die wirtschaftlichen Vulnerabilitäten und Abhängigkeiten wurden uns deutlich und schmerzhaft vor Augen geführt. Lösungen liegen ein Stück weit bei uns selbst, das heißt, wo immer es möglich ist, müssen wir die Zügel selbst in der Hand halten und an veränderten Umständen aktiv mitgestalten und eine Führungsrolle anstreben. Das heißt nicht, dass man schnell mal die Globalisierung zurückführt, das würde keinen Sinn machen und auch nicht funktionieren. Es geht vielmehr um eine aktive Handelspolitik, die mehr Balance bringt, wenn es um Spezialisierung und Abhängigkeiten geht.
Welche Ratschläge würden Sie Unternehmen in Österreich angesichts dieser Situation geben? Wie können Unternehmen ihre Resilienz stärken?
Hameseder: Ich rate jedem Unternehmen, den wirtschaftlichen und technologischen Umbruch sowie die Veränderungen mit Blick auf Nachhaltigkeit und ESG in erster Linie als Chance zu begreifen. Damit ist etwa das Erschließen neuer und zusätzlicher Märkte gemeint, wenn es z.B. um Lieferketten und Rohstoffversorgung geht. Früher war die Globalisierung die anzustrebende Antwort auf alles, ein Heilsbringer. Das hat sich deutlich geändert, es geht mir daher auch um die stärkere Fokussierung in Richtung Regionalisierung, damit wir wieder mehr Wertschöpfung zurück in die Regionen bringen. Es ist der kluge Mix aus einer Art Rückbesinnung und neuen Wegen, der in die Prävention und Resilienz gegenüber globalen Risken einzahlt und ein Unternehmen stärkt. Wohlgemerkt, ohne uns von den Gegebenheiten der globalisierten Welt und des internationalen Handels loslösen zu wollen.
Und welche Rolle spielen dabei Österreich und die EU?
Hameseder: An der Idee und an der Institution EU führt auch in Zukunft kein Weg vorbei. Würde es die EU heute nicht geben, müsste sie wieder so entwickelt und gegründet werden und selbstverständlich dann wieder mit dem Mitgliedsland Österreich. Das Friedensprojekt EU und die Rolle als globale Wirtschaftskraft stehen außer Diskussion. Die EU muss sich aber schon die Frage stellen, wohin die Entwicklung Europas geht. Welche Rolle nimmt die EU in einer künftigen Weltordnung ein? In wirtschaftlicher Hinsicht muss sich die EU für die Menschen in Europa positionieren. Die Zeiten bleiben jedenfalls stürmisch und turbulent,
nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern gesamtgesellschaftlich – in Europa und damit natürlich auch in Österreich. Wir haben es beispielsweise mit gezielten Desinformationen und falschen Narrativen zu tun. Das damit verbundene Ziel der Akteure ist klar: die gesellschaftliche Spaltung. Angesichts der volatilen geopolitischen Landschaft mit ihren unterschiedlichen Krisen steht das Potenzial für eine Zusammenarbeit zur Bewältigung globaler Krisen somit zusehends unter Druck. Ich bin aber überzeugt davon, der Schlüssel zur Bewältigung dieser Herausforderungen kann nur im Miteinander liegen. Das gilt und beginnt im „Kleinen“, wie etwa in einem Unternehmen, wie es auch für die grenzüberschreitende staatliche Zusammenarbeit Gültigkeit hat.
Wie sollte sich die EU nach den jüngst erfolgten Wahlen aufstellen, um für die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen besser gerüstet zu sein?
Hameseder: Ich hoffe, die Politik hat die Botschaften der EU-Wahl verstanden. Den Menschen bereiten Themen wie wachsende Migrationsströme, Klimawandel, technischer Fortschritt und Inflation große Sorgen. Problemfelder, die bei vielen Entfremdung, Unbehagen und sogar Resignation auslösen. Es sind Nähe, Verlässlichkeit und Vertrauen, was die Menschen brauchen. Aus wirtschaftlicher Sicht sei Brüssel ins Stammbuch geschrieben: Wir brauchen keine lähmenden Beschränkungen und keine überbordende Bürokratie und Regulatorik. Was wir brauchen, ist so etwas wie eine volkswirtschaftliche Gewaltentrennung: Der Staat sorgt für die Rahmenbedingungen, regelt im unbedingt notwendigen Ausmaß und kontrolliert. Und innerhalb dieses Rahmens kümmert sich die Wirtschaft ums Geschäft, Wohlstand und Wachstum. Was den globalen Kontext der EU anbelangt, will ich optimistisch sein, so dass die EU wieder zu einer stärkeren sicherheitspolitischen Selbstständigkeit zurückfindet.
Mit Blick auf die bevorstehende Nationalratswahl im Herbst: Welche Bedeutung messen Sie dieser Wahl bei und welche Erwartungen haben Sie an die zukünftige Regierung?
Hameseder: Die gesamte Welt befindet sich in drastischer Veränderung. 2024 und 2025 nehmen mehr als drei Milliarden Menschen weltweit an Wahlen teil, die beschleunigte Transformation wird somit weiter zunehmen. Die entscheidende Frage dabei: in welche Richtung geht es – global, in Europa und in Österreich? Bei der Nationalratswahl geht es somit um nichts weniger als die Frage, mit welchen politischen Konzepten gehen wir in die Zukunft? Es gibt jene, die Übergewinn- und Vermögenssteuern fordern. Ich kann da nur warnen, wie auch die Agenda Austria oder EcoAustria davor warnen. Die Zahlen, Daten und Fakten belegen, der Schaden wäre ungleich größer als der Nutzen wäre. Aus der Sicht der Wirtschaft bin ich jenen politischen Kräften dankbar, von denen es Entscheidungen und Signale in die richtige Richtung gibt. Ich denke da etwa an die Abschaffung der kalten Progression oder das Eintreten für Eigentum. Diesen Weg müssen wir fortsetzen, Leistung muss sicher wieder lohnen, der Unternehmergeister wieder gestärkt und Arbeit und Wirtschaft weiter entlastet werden. Häme schafft jedenfalls keine Arbeitsplätze und Neid zahlt keine Gehälter, es ist das österreichische Unternehmertum, also jene, die den Mut haben, Risiko zu nehmen und Leistung zu erbringen.
Zum Unternehmen:
Die Raiffeisen-Holding NÖ-Wien ist Österreichs größte private Beteiligungsholding. Sie konzentriert sich auf Beteiligungen in Banken, Nahrungs- & Genussmitteln, Medien und Infrastruktur sowie neue Investitionen in Gesundheit, Energie und Unternehmertum.
Die Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien (RLB NÖ-Wien) ist eine moderne Regional- und Universalbank im Osten Österreichs. Während sich die RLB NÖ-Wien als „Raiffeisen Wien. Meine Stadtbank" vor allem auf die Bundeshauptstadt konzentriert, sind die lokal tätigen selbstständigen Raiffeisenbanken die führende Bankengruppe in Niederösterreich. In der Zentrale und in 20 Standorten in Wien arbeiten rund 1.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die 42 selbstständigen niederösterreichischen Raiffeisenbanken verfügen über 312 Bankstellen mit insgesamt rund 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.