Seit einem Jahr steht Kari Ochsner als Präsident an der Spitze der Industriellenvereinigung Niederösterreich. Im Interview spricht er über die wichtige Rolle der IV-NÖ in der aktuell herausfordernden Zeit, über unpopuläre Wahrheiten und darüber, welche Maßnahmen jetzt unverzichtbar sind.
Herr Ochsner, Sie sind nun ein Jahr im Amt – was hat Sie am meisten überrascht?
Ehrlich gesagt die Dringlichkeit der Lage in allen Sektoren. Die Deindustrialisierung ist kein Schreckgespenst mehr, sondern hat bereits voll eingesetzt – nicht nur bei den Leitbetrieben, sondern bis hin zum Mittelstand. Die Situation hat sich in diesem Jahr dramatisch zugespitzt, und wir müssen jetzt schnell handeln, um den Fortbestand Österreichs als Industriestandort zu sichern.
Was war in diesem Jahr die größte Herausforderung für Sie?
Die Zeit aufzubringen, um mein eigenes Unternehmen durch diese unruhige See zu steuern und parallel die Verantwortung für den Industriestandort Niederösterreich zu tragen. Diese Doppelbelastung ist manchmal herausfordernd, aber notwendig.
Welche Herausforderungen sehen Sie für den Industriestandort Österreich in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage?
Die Situation ist äußerst angespannt. Die Kosten für Arbeit steigen in bald nicht mehr tragbare Höhen – genau wie für Energie. Auch Bürokratie und Regulierungswut schwächen unsere internationale Konkurrenzfähigkeit. Die neue Bundesregierung muss die Wettbewerbsfähigkeit des Industrie- und Wirtschaftsstandorts Österreich zur obersten Priorität machen. Planungssicherheit für Unternehmen, Energiewende, Kosten- und Abgabensenkungen sowie Strukturreformen müssen jetzt unbedingt im Fokus stehen. Außerdem braucht es auf europäischer Ebene einen Industrial Deal, der im Einklang mit dem Green Deal steht.
Wie positioniert sich die IV-NÖ in dieser kritischen Phase?
Die IV-NÖ ist die klare, laute Stimme für die Industrie. Es ist nicht die Zeit für Zurückhaltung. Besonders wichtig ist aus meiner Sicht auch die enge Zusammenarbeit mit der IV-OÖ. Die beiden Bundesländer leisten gemeinsam 43 Prozent der industriellen Produktion in Österreich. Unser Austausch mit der IV-OÖ und den Landeshauptleuten Johanna Mikl-Leitner und Thomas Stelzer hat das Bewusstsein für die Wettbewerbsfähigkeit in beiden Bundesländern zusätzlich geschärft.
Bei unserem Industrie-Summit Niederösterreich-Oberösterreich im Oktober in Linz mit den beiden Landeshauptleuten und rund 60 Top-Managern von Leitbetrieben der beiden Bundesländer haben wir sieben prioritäre Standort-Maßnahmen vorgestellt, die die höchste Hebelwirkung zur kurzfristigen Stärkung des Industriestandortes Österreich haben: die Schaffung von Anreizen zum steuerfreien Mehrarbeiten, die massive Senkung der Lohnnebenkosten, Entbürokratisierung, die Verlängerung der Strompreiskompensation bis 2030, die Einführung einer Lehrlings-Ausbildungsprämie, die Erhöhung der Forschungsprämie sowie die Wiedereinführung eines Investitionsfreibetrags für Investitionen in die grüne und digitale Transformation.
Sie hatten in ihrem ersten Jahr als IV-NÖ-Präsident sehr viel Medienpräsenz. Was war die häufigste Frage, die Ihnen gestellt wurde?
Warum wir so intensiv die Leistungsdebatte führen. Viele Menschen verstehen bei diesem Thema die internationale Komponente nicht und denken zu regional. Es ist wichtig, zu vermitteln, dass die Industrie anders funktioniert als der klassische Handel oder das Dienstleistungsgewerbe mit dem regionalen Denken ‚mehr Kaufkraft bringt mehr Einkommen oder mehr Umsatz‘. Die Industrie muss im Gegensatz dazu international agieren und preislich mit Wirtschaftsmächten wie den USA, China oder Indien konkurrieren.
Dieses Verständnis zu schaffen und das Thema notwendiger Mehrarbeit zu erklären, waren zentrale Themen in vielen Interviews, neben den oft gestellten Fragen zu den hohen Energiekosten in der energieintensiven Industrie Niederösterreichs.
Sie sind bekannt dafür, auch unpopuläre Themen klar anzusprechen. Warum ist das so wichtig?
Ich spreche unbequeme Wahrheiten aus, weil es nicht nur um das Wohl der Industrie, sondern damit verbunden um das Wohl der österreichischen Bevölkerung geht. Es ist alternativlos, mathematische Grundsätze und logische Zusammenhänge zu akzeptieren. Wenn wir heute länger und gesünder leben, müssen wir auch länger arbeiten. Wir können nicht erwarten, dass die nachfolgenden Generationen uns in nicht stemmbarem Rahmen finanzieren. Unser Wohlstand, unser Bildungssystem, unser Gesundheitssystem – all das muss getragen werden, und das Geld dafür kommt von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern. Wenn Unternehmen abwandern, bricht dieses System zusammen.
Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Hohe Lohn-Stück-Kosten, Gehaltsabschlüsse und Energiekosten und dazu noch überbordende Bürokratie schwächen den Standort Österreich massiv. Wenn sich unsere internationalen Kunden Produkte „Made in Austria“ nicht mehr leisten können, bringt das die Lebensqualität von uns allen in Gefahr. Es ist wichtig, dass diese Wahrheiten in der gesamten Bevölkerung ankommen und wir uns damit auseinandersetzen. Denn im Endeffekt geht es darum, dass wir in einem der schönsten Länder der Welt mit den höchsten sozialen Standards leben und wir in der Industrie das erhalten wollen.
Der Green Deal wird oft als Gefahr für die Industrie gesehen. Wie sehen Sie das?
Wir brauchen einen Green Deal in Verbindung mit einem Industrial Deal, die einander ergänzen. Es ist wichtig, dass wir uns nicht von unrealistischen Zeitplänen treiben lassen, die unsere Unternehmen überfordern und in die Knie zwingen. Unser Ziel ist es nicht, den Klimaschutz zu bremsen, sondern ihn so zu gestalten, dass er unsere wirtschaftliche Basis nicht zerstört.
Wenn wir die Industrie aus Österreich und Europa vertreiben, ist es das Schlechteste, was dem Klimaschutz passieren könnte. Je mehr in Österreich mit seinen hohen umweltfreundlichen Standards produziert wird, desto besser ist das für den Klimaschutz. Unsere Green-Tech-Industrie ist weltweit erfolgreich, auf diese Stärke sollten wir setzen. Einen Rückzug aus unserer Vorreiterrolle in diesem Gebiet wäre vergleichbar mit der Schweiz, die ihre Finanz- und Pharmaindustrie infrage stellt.
Zusätzlich brauchen Unternehmen Planungssicherheit. Man kann ihnen nicht das Gas abdrehen, bevor Wasserstoff in ausreichender Menge und zu vernünftigen Kosten verfügbar ist. Das gilt auch für Strom. Wenn dieser nicht zu wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar ist, wird die Energiewende scheitern. Strom ist die einzige Energie, die jeder Staat in Europa selbst produzieren kann. Und damit ist diese Form der Energie alternativlos als Leitenergie der Zukunft. Daher müssen wir sicherstellen, dass wir eine entsprechend angepasste Infrastruktur haben. Der Ausbau der Stromnetze muss aber unbedingt als Generationenprojekt betrachtet werden und die Kosten dafür dürfen nicht auf die Verbraucher umgelegt werden.
Was erwarten Sie für die Industrie im Jahr 2025?
Ich hoffe, dass sich rasch eine handlungsfähige Regierung bildet, die den Wirtschaftsstandort Österreich als oberste Priorität setzt. Auf europäischer Ebene braucht es den Einsatz für einen Green Deal im Einklang mit einem Industrial Deal. Außerdem müssen wir dringend danach trachten, bei der F&I-Quote wieder nach oben zu kommen, um den Anschluss an die USA und China nicht zu verlieren, etwa beim Thema Künstliche Intelligenz.
Darüber hinaus müssen wir gemeinsam mit der neuen Bundesregierung bei den Sozialpartnern ein unternehmensgerechtes Umdenken erreichen. Die Errungenschaften für die Arbeitnehmer in den vergangenen Jahrzehnten in allen Ehren, aber in der derzeitigen Situation sind Kompromisse, die die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts schwächen, nicht mehr ausreichend. Arbeitnehmervertreter müssen verstehen, dass unrealistische Forderungen Unternehmen dazu zwingen, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, was uns als Gesellschaft massiv schwächen würde.
Die IV-NÖ-Präsidentschaft ist ein arbeitsintensives Ehrenamt. Warum engagieren Sie sich?
Ich möchte einen Fußabdruck hinterlassen, der stärker ist als die Zeit. Durch mein Engagement in der Interessenvertretung kann ich für nachkommende Generationen und letztendlich auch für meine Kinder einen Beitrag leisten.