Die Industrie steckt in der Stagnation: Hohe Kosten, bürokratische Hemmnisse und fehlende Reformen bremsen
den Standort. IV-Chefökonom Christian Helmenstein zeigt, welche Weichen jetzt gestellt werden müssen und wo
Potenziale liegen.
Mit „Bonjour Tristesse“ eröffnete IV-Chefökonom Christian Helmenstein das Interview mit den „iv-positionen“. Die Lage der österreichischen Industrie umriss er so: „Im Moment ist Mattigkeit die vorherrschende Emotion – und so sie denn eine Farbe hätte, wäre Grau der dominierende Farbton.“ Wachstum sei derzeit nicht in Sicht, Investoren zögerten, Konsumenten hielten sich zurück, während die öffentliche Hand die Ausgaben weiter erhöhe. Auch für die kommenden Monate bleibe die Lage unsicher und sei vom Prinzip der Hoffnung geprägt – darauf, dass die USA unter Präsident Trump nicht weitere Zölle einheben und das deutsche Investitionspaket positive Effekte auch in Österreich entfaltet. „Aber: Wir schielen nach Washington und Berlin, anstatt uns selbst in Österreich zu mutigen Reformen aufzuraffen.“
Welche Maßnahmen wirklich zählen
Für Helmenstein sind es vor allem zwei Hebel, die Österreichs Wirtschaft aus der Stagnation reißen könnten: Erstens brauche es einen starken Investitionsimpuls durch steuerliche Anreize: „Wir benötigen eine Kombination aus Sofortabschreibung, Superabschreibung und Hyperabschreibung, die so überzeugend ist, dass ein investitionsgetragener Aufschwung einsetzt; denn auf einen exportgeleiteten Aufschwung würden wir noch länger warten müssen.“ Zweitens müsse die Staatsquote deutlich sinken. Helmenstein zitierte dabei den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl: „Ab 50 Prozent Staatsquote beginnt der Sozialismus.“ Österreich liege mit 56,3 Prozent deutlich darüber. „Mit anderen Worten: Weit mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung wird durch die öffentliche Hand, angefangen vom Staatskonsum bis hin zu Transferzahlungen, beansprucht. Der EU-Schnitt liegt bei 49,2 Prozent. Um dorthin zu gelangen, sind die öffentlichen Ausgaben um sieben Prozentpunkte, das entspricht rund 35 Milliarden Euro pro Jahr, zu reduzieren. Das würde Bürgerinnen und Bürgern ebenso wie Unternehmen finanzielle Atemluft verschaffen.“
Belastung durch Kosten und Bürokratie
Die Handlungsspielräume der Unternehmen seien derzeit gering. Neben im internationalen Vergleich hohen Energiepreisen und den stark gestiegenen Lohnstückkosten seien es auch die bürokratischen Auflagen, die belasten: „Hier haben wir seit der Angelobung der Regierung bis dato keine nennenswerten Fortschritte gesehen. Im Gegenteil, es kommen weitere Belastungen auf uns zu.“ Besonders augenfällig sei die Dimension regulatorischer Texte: „Die österreichische Bundesverfassung umfasst rund 45.900 Wörter, aber allein die Delegierten Rechtsakte zur EU-Taxonomie kommen auf 333.000 Wörter. Das zeigt die monströse bürokratische Belastung.“ Helmenstein fordert eine „radikale Bürokratie-Reduktion“ um 75 Prozent. Auch die österreichische Lohnpolitik verschärfe die Lage: Aufgrund einer Inflationsrate von zuletzt 3,7 Prozent – knapp dem Doppelten des Durchschnitts der Eurozone – sei ein weiterer Kostenauftrieb zu befürchten, so Helmenstein. „Unsere hohen Lohnstückkosten lassen sich in den Exportgüterpreisen kaum noch unterbringen. Wenn bei den kommenden Lohnverhandlungen weiter nach der Benya-Formel vorgegangen wird, verschlechtern wir unsere internationale Wettbewerbsposition erneut.“ Das Problem reicht jedoch tiefer: Österreich habe sich seit 2015 handelsgewichtet um acht Prozent gegenüber seinen Partnern verteuert. „Das bedeutet, dass gute Ideen im Land vorhanden sind, aber nicht in wirtschaftlichen Erfolg übersetzt werden können, weil wir preislich nicht mehr wettbewerbsfähig sind.“
Chancen – von Raumfahrt bis künstliche Intelligenz
Trotz der angespannten Lage gibt es Potenziale. Helmenstein nennt etwa die Bahnindustrie, die Pharmaindustrie sowie die Luft- und Raumfahrt. Nachsatz: „Aber angesichts ihrer Innovationskraft wäre es verfehlt, unsere Automobilzulieferindustrie vorzeitig abzuschreiben!“ Als größtes Zukunftsthema sieht er den Einsatz von künstlicher Intelligenz.