Michael Höllerer, Generaldirektor Raiffeisen NÖ-Wien, über Wettbewerbsdruck, Innovationskraft – und die Frage, wie Österreich wieder attraktiver wird.
Das WIFO sprach zuletzt von einer anhaltenden Wachstumsschwäche der österreichischen Wirtschaft. Deckt sich das mit Ihren Beobachtungen?
Michael Höllerer: Die Zahlen sprechen für sich: Es rumpelt, doch die Lage ist nicht hoffnungslos. Neben geopolitischen Herausforderungen sind es vor allem hausgemachte Probleme, die endlich gelöst werden müssen. Dafür braucht es bessere Rahmenbedingungen und vor allem den Abbau der überbordenden Bürokratie. Leistung muss wieder zählen. Wo Reformstau herrscht, ist Tempo gefragt. Seit Jahren wird über Bürokratieabbau geredet. Jetzt ist es höchste Zeit zu handeln und Österreich wieder attraktiver zu machen. Der Befund liegt am Tisch, die Defizite sind bekannt. Jetzt braucht es Lösungen, um den Standort zu stärken und jene zu entlasten, die ihn finanzieren: die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Wie entwickelt sich aktuell die Kreditnachfrage – sowohl von Unternehmen als auch im Privatbereich nach dem Auslaufen der KIM-Verordnung?
Das Positive ist, dass sich bei den jungen Haushalten mit gutem Einkommen, aber geringen Eigenmitteln, was getan hat. Das Interesse an Immo-Käufen ist dadurch gestiegen, potenzielle Käuferinnen und Käufer sind wieder stärker ermutigt, sich um eine Finanzierung zu bemühen. Im KMU-Segment verzeichnen wir aktuell ein Wachstum bei den Investitionskrediten und auch bei den Wohnbaukrediten an Bauträger.
Was lässt sich daraus über die Stimmung und Investitionsbereitschaft ableiten?
Junge Menschen suchen wieder vermehrt eine Finanzierung für ein Eigenheim und sorgen damit für später vor. Das ist sehr positiv. Bei den KMUs ist es komplexer. Bei aktuellen Investitionsentscheidungen spielen neben der spezifischen Unternehmens- und Marktsituation noch andere Faktoren eine wesentliche Rolle. Zum Beispiel: geopolitische Rahmenbedingungen, globale Unsicherheiten, Zolldebatten und zu hohe Energie- und Lohnkosten. Das alles wirkt sich auf die Stimmung, die Investitionsbereitschaft – und damit auf die Kreditnachfrage aus.
Wenn Sie auf die Industrie blicken: Wo sehen Sie derzeit am größten Herausforderungen – und wo dennoch Chancen?
Österreich ist dank seiner starken Industrie ein Top-Exportland. Die geopolitischen Verwerfungen und Unsicherheiten belasten die Industrie aber enorm. Doch das ist nur die eine Seite. Die andere sind unsere Hausaufgaben im Inland: strukturelle Probleme, die endlich ernsthaft angepackt werden müssen. Dazu gehören Technologie- und Digitalisierungsoffensiven. Gleichzeitig nehmen es viele Industrieunternehmen selbst in die Hand, die Weichen auf Erfolg zu stellen: mit neuen Märkten und Handelspartnern, diversifizierten Geschäftsfeldern sowie Mut und Optimismus für Veränderungen, Innovationen und neue Wege.
Was muss passieren, damit Österreich langfristig im internationalen Wettbewerb bestehen kann?
Österreich zählt zu den teuersten Produktionsstandorten Europas. Das hat klare Folgen für unsere Wettbewerbsfähigkeit. Ohne diese gibt es aber keinen Fortschritt und keine Absicherung unserer sozialen Netze. Darum brauchen wir Reformen und den Abbau der überbordenden Bürokratie. Goldplating, also zusätzliche Auflagen über die ohnehin hohen EU-Standards hinaus, kann sich Österreich schlicht nicht mehr leisten. Gefragt ist Bürokratie mit Augenmaß, verbunden mit Maßnahmen zur Stärkung des Standorts, in Innovation und Unternehmertum. Deregulierung bedeutet auch, die Wirtschaft arbeiten zu lassen. Ganz oben auf der Agenda muss außerdem das Vorantreiben der Digitalisierung und die Stärkung des Kapitalmarktes stehen.
Wo sehen Sie den Industriestandort Österreich in fünf Jahren?
Meine positive und optimistische Grundhaltung macht mich sicher, dass es im österreichischen Schulterschluss – mit einem starken Kapitalmarkt als Partner – gelingen wird, die komplexen Herausforderungen zu meistern, die Industrie fit gegenüber den künftigen Trends zu machen und stark sowie erfolgreich nach vorne zu führen.
Wie läuft das Jahr 2025 bisher für Raiffeisen NÖ-Wien – und was sind heuer die wichtigsten Schwerpunkte im Bankgeschäft?
Gerade was das operative Geschäft betrifft, bin ich mit dem heurigen Geschäftsverlauf bisher zufrieden. Wir sind stabil und resilient aufgestellt. Was die Schwerpunkte anbelangt, da hat sich unser Umfeld den letzten Jahren stark verändert, da ist viel Veränderung passiert. Die Bedürfnisse und Ansprüche der Kundinnen und Kunden sind schon allein wegen der Online-Banken mehr und anspruchsvoller geworden. Es geht uns immer um Lösungen, mit denen die Kundenbedürfnisse optimal abgeholt werden. Sei es der private Mittelstand, der unternehmerische Mittelstand mit den KMUs, unsere Kommerzkunden, unser Schwerpunkt lautet, die bestmögliche und individuelle Lösung zu erarbeiten. Dann kommen noch die Innovationen auf Produktebene dazu, beispielsweise unsere Kooperation mit Bitpanda oder die Entwicklung der Raiffeisen Junior-App, mit denen wir auf die veränderten Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden eingehen und die auch gut angenommen werden. Diesen Innovationsweg als Nr. 1 in der Ostregion werden wir konsequent weitergehen.
Die RLB NÖ-Wien verfolgt eine klare Vorwärtsstrategie. Was ist das übergeordnete Ziel dabei?
Es geht darum, aktiv zu sein und etwas weiterzubringen. Die Vorwärtsstrategie betrifft die Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien gleichermaßen wie die Raiffeisen-Holding NÖ-Wien. In der RLB geht es um die absolute Kundenzentrierung in jeder Entscheidung, also den Anspruch, immer die beste Lösung für Kundinnen und Kunden zu entwickeln. Die R-Holding ist eine der größten privaten Beteiligungsholdings in Österreich und da passiert auch sehr viel im Innovationsbereich, im Beyond Banking – und beim Anspruch an uns selbst, mehr zu sein als eine Bank. Was ich damit meine, das sind unkomplizierte, niederschwellige und verständliche Lösungen für die Menschen, und zwar über das Bankgeschäft hinaus. Energie und Gesundheit sind zwei Themen, die bei uns oben stehen und wo wir mit starken Partnern gut unterwegs sind.
Neben dem klassischen Bankgeschäft gibt es inzwischen starke Beteiligungen in ganz unterschiedlichen Branchen. Was ist die strategische Logik dahinter?
Die Welt und unser Umfeld haben sich verändert, also müssen wir was tun. Wir haben die Strategie der R-Holding überdacht, angepasst und auf die Diversifizierung unserer Geschäftsfelder ausgerichtet. Das zielt auf die langfristige Entwicklung ab und geht Hand in Hand mit unseren genossenschaftlichen Wurzeln, die sich auf unsere Verantwortung gegenüber den Menschen und Unternehmen in der Region beziehen. Wir bauen gemeinsam mit strategischen Partnern Ökosysteme mit Lösungen, die sich an den tatsächlichen und veränderten Bedürfnissen der Menschen orientieren. Wir haben mit Auri etwa einen eigenen und günstigen Ökostromtarif entwickelt und kooperieren mit der UNIQA in der Gesundheit. In Zeiten, in denen der demografische Wandel unser Gesundheitssystem unter Druck setzt, bieten wir innovative Lösungen in der Gesundheitsversorgung.
Immobilien & Infrastruktur: Im letzten Jahr gab es eine Marktbereinigung in der Immobilienbranche. Wirkt sich das auch auf Ihr Geschäft aus? Wie läuft es im Infrastruktur-Segment?
Wir sind sehr stolz auf unsere langjährige Partnerschaft mit der STRABAG, ein Vorzeigeunternehmen und Österreichs größter Baukonzern, der wichtige wirtschaftliche Impulse setzt. Das Unternehmen erzielte 2024 einen Rekordgewinn und ging mit einem Rekordauftragsbestand mit wegweisenden Projekten in Bereichen wie Infrastruktur, Energie und Hightech-Produktionen wie etwa in der Halbleiterindustrie in das Geschäftsjahr 2025 – und das wohlgemerkt in einem veränderten, komplexen Marktumfeld.
Energie: Seit dem Angriffskrieg in der Ukraine ist das Thema allgegenwärtig. Welche Rolle spielt es für die RLB NÖ-Wien?
Unser Engagement im Bereich Energie ist eine Frage der gesellschaftlichen Verantwortung. Energie betrifft jeden und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Energie-Abhängigkeit deutlich vor Augen geführt. Mit dem grünen Stromtarif Auri haben wir eine ökonomische und ökologische Lösung für Privatkunden und KMUs entwickelt. Einen Beitrag zur Energiewende und Energieversorgung leisten wir auch mit der Beteiligung an Enlion. Unser gemeinsames Ziel ist es, die Energieversorgung in die Hände der Regionen zu legen, und zwar erneuerbar, vernetzt und wirtschaftlich.
Medien: Mit Beteiligungen wie „Der Börsianer“, „Falstaff“, dem Agrar-Verlag oder Leadersnet haben Sie in letzten Zeit wieder Schlagzeilen gemacht. Gibt es schon Pläne für weitere Beteiligungen / Übernahmen – wenn ja, bei welchen Medien bzw. in welchen Bereichen?
Auch wenn sich manch einer über unser Engagement im Medienbereich wundert, bin ich davon überzeugt, das passt zu uns und zu unserem aktiven Beteiligungsmanagement. Wir gehen gezielt in Bereiche rein, die wir mit spannenden Projekten verknüpfen – und wir machen das mit Realitätssinn und mit einer klaren Reformagenda und Weiterentwicklung.
Gesundheit: Eine noch junge Säule in Ihrem Portfolio – was steckt konkret dahinter? An welchen Unternehmen ist die RLB NÖ-Wien hier beteiligt?
Bei der Gesundheit ist es wie bei der Energie: Es betrifft uns alle. Der Ursprung des Engagements liegt einmal mehr in der Veränderung, im Wandel. Tatsache ist, das staatliche Gesundheitssystem hat finanziell seine Grenzen erreicht – also braucht es neue Lösungen, abseits der staatlichen Daseinsvorsorge. Die Lösung liegt auch hier in der Innovation, in diesem Fall machen wir das zum Beispiel mit dem UNIQA-Start-up MAVIE. Unsere Mission lautet: Gesundheitsvorsorge leistbar, verständlich, unkompliziert und niederschwellig zugänglich zu machen. Unsere Schwerpunkte liegen in der 24-Stunden-Betreuung und in der Mitarbeitervorsorge – und es funktioniert, das Angebot wird angenommen.
Lebensmittel: Die Agrana hat im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2025 / 26 einen Ergebniseinbruch verzeichnet. Wie stabil ist das Segment Nahrungs- und Genussmittel insgesamt?
Die Agrana ist mit Mut und Weitblick unterwegs, befindet sich mitten in der Umsetzung einer neuen Strategie, die den regulatorischen, wirtschaftlichen und marktbedingten Herausforderungen, insbesondere durch den Krieg in der Ukraine, geschuldet ist. Die Entscheidung für den Standort Tulln inklusive der notwendigen Investitionen sichert die Zukunft des heimischen Rübenanbaus und die autonome Versorgung Österreichs mit heimischen Zuckerprodukten. Wir haben da Verantwortung übernommen und unsere Rolle als verlässlicher Partner der Landwirte unter Beweis gestellt. Die GoodMills Group, Europas größter Mühlenbetreiber, festigt etwa durch den Bau einer neuen Mühle in Polen ihre Position. Und auch bei der NÖM wird kräftig investiert: Am Standort Baden ist ein vollautomatisiertes Hochregallager entstanden und die Partnerschaft mit der Vorarlberg Milch ist ebenfalls ein bedeutender Schritt nach vorne und ein starkes Zeichen.
Auch in der Kundenbindung gehen Sie neue Wege, zum Beispiel mit einer Kooperation mit dem Jö-Bonusclub des REWE-Konzerns. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
Diese Kooperation ist noch sehr frisch und mit dieser exklusiven Partnerschaft bieten wir unseren Kundinnen und Kunden spürbare Vorteile im Alltag. Attraktive Angebote und Ersparnisse bei täglichen Einkäufen machen Banking so unmittelbar nutzbar wie nie. Unser Ziel ist es, Kundenvorteile und finanzielle Entlastung dort zu schaffen, wo sie am meisten wirkt. Über die ELBA-APP können Kundinnen und Kunden einfach, digital und transparent durch Verknüpfung mit unseren Kontoangeboten Ös sammeln und zukünftig auch einlösen. Ab Ende 2025 starten wir mit den ersten Vorteilen in Wien und erweitern diese dann Schritt für Schritt.
Die RLB NÖ-Wien investiert auch in junge Unternehmen. Was reizt Sie an diesem Bereich – und nach welchen Kriterien werden die Beteiligungen ausgewählt?
Die Zusammenarbeit mit dieser Zielgruppe passt gut zu uns und zu unserem Innovationskurs. Der Fokus liegt hier auf wachstumsstarken, jungen Unternehmen. Die Interaktion mit diesen Unternehmen ist spannend und liefert neue Denk- und Lösungsansätze, wir sind da sehr gerne mit dabei, beide Seiten profitieren. Wir haben unser Engagement im letzten Jahr weiter ausgebaut und zusätzliche Mittel in Fonds investiert, darunter Fund F, der ausschließlich in Start-ups investiert, die zumindest eine Frau im Gründungsteam haben.
Was bedeutet Führung für Sie persönlich?
Der Anspruch an mich selbst und an meine Führungskräfte ist einfach: Vorangehen und vorleben, was man von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einfordert, sowohl was das Verhalten als auch die Performance anbelangt. Führung hat für mich auch sehr stark damit zu tun, strategische und andere heikle Entscheidungen zu treffen und auch die Verantwortung dafür zu übernehmen. Wenn Fehler passieren, müssen eben Lösungen entwickelt werden. Ich bin jedenfalls ein Freund davon, wenn wir als Führungskräfte mutig, schnell, agil und flexibel in der Aktion sind.
Worauf achten Sie bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besonders?
Wenn ich sehe, jemand haut sich in den Job rein, packt an, will was bewirken und dabei sein, wenn wir als Unternehmen gemeinsam was weiterbringen. Was ich schon auch sehr schätze, sind die spürbare Lust an Veränderungsprozessen, eine grundsätzlich optimistische Grundhaltung und das Mindset, nach vorne zu streben und noch besser werden zu wollen.
Haben Sie ein persönliches Motto oder einen Leitsatz?
Gestalten statt verwalten.